Rüdiger Rossig | Journalist | Novinar

Deutsche Partisanen für Jugoslawien und gegen Hitler

Die Abteilung "Ernst Thälmann" der jugoslawischen Partisanenarmee war die einzige alliierte Kampfeinheit im Zweiten Weltkrieg, deren Mitglieder allesamt Deutsche waren | von Rüdiger Rossig

Vlado Juric sammelt kleine Marmorstücke vom Boden auf. Sie stammen von dem Partisanendenkmal im Dorf Slatinski Drenovac, das wie so viele antifaschistische Monumente in Slawonien und anderen Teilen Kroatiens beschädigt ist. Vorsichtig wischt der Präsident des Verbands der Antifaschisten und antifaschistischen Kämpfer aus der Kleinstadt Slatina die geborstene Gedenktafel mit einem Tuch ab. "Hier ruhen 42 Kämpfer der 18. Stoßbrigade" steht darauf.

Die Szene wiederholt sich jedes Jahr am Vorabend des 15. August. An diesem Tag wurde 1943 die Abteilung "Ernst Thälmann" der jugoslawischen Partisanenarmee gegründet - die einzige Militäreinheit, die im Zweiten Weltkrieg auf Seiten der Alliierten gegen Hitlerdeutschland kämpfte und ausschließlich aus Deutschen bestand.

"Die 'Telmanovci' (Deutsch: Thälmänner oder Thälmanns Leute, Aussprache: Telmanowtzi; Anm. d. Red.) stammten vor allem aus deutschen Dörfern um Pakrac, Osijek, Slatina und Orahovica sowie aus gemischten kroatisch-deutschen und serbisch-deutschen Dörfern wie Levinovac, Trnava und Gasinac," erklärt Juric. Einzelne Mitglieder seien auch Überläufer aus der Wehrmacht gewesen. Insgesamt hätten über 2000 Deutsche in den jugoslawischen Partisanenverbänden unter Josip Broz "Tito" gekämpft.

"Beim deutschen Einmarsch 1941 lebten in Jugoslawien rund eine halbe Million Deutsche, ca. 100.000 davon in Kroatien," sagt Carl Bethke der DW. "Einerseits hatte der von Nazideutschland unterstützte Kulturbund durchaus Erfolg bei den Deutschen in Jugoslawien," erklärt der Südosteuropa-Historiker an der Universität Leipzig die politischen Haltungen innerhalb der Minderheit, "anderseits hatten Deutsche gerade bei der Gründung der Arbeiterbewegung in Kroatien einen großen Anteil gehabt. In Slawonien gab es ganze Ortschaften, die traditionell als rot galten."

"Volksdeutsche" und Deserteure

Gegründet wurden die Telmanovci mit dem Ziel, möglichst viele "Volksdeutsche", wie die Angehörigen der deutschen Minderheit in Jugoslawien von den Nazis genannt wurden, zur Teilnahme am Kampf gegen die Besatzer zu motivieren. Die Einheit wurde nach Ernst Thälmann, dem Generalsekretär der Kommunistischen Partei Deutschlands (KPD) in der Weimarer Republik benannt, der seit 1933 im Gefängnis saß und 1944 ermordet wurde.

Emblem der neuen Partisaneneinheit wurde die schwarz-rot-goldene Flagge der Weimarer Republik mit einem roten Stern in der Mitte. Kommandosprache war Deutsch. Vom Oberkommando der Partisanen bekamen die Telmanovci eine Schreibmaschine und einen Vervielfältigungsapparat. Damit stellten sie Flugblätter her, in denen sie die Soldaten der Wehrmacht aufforderten, zu den Partisanen überzulaufen.

Gefährliche Sprache

Die meisten Angehörigen hatten bisher in anderen Partisanenverbänden gekämpft. Der erste Einsatz begann am 18. August 1943. Dabei kam es zu einem nächtlichen Zwischenfall: Die deutschen Partisanen wurden von anderen Partisanen angegriffen, weil die gehört hatten, dass sich die Telmanovci auf Deutsch unterhielten. Dass niemand verletzt wurde, war reiner Zufall.

"Neben Kämpfern gehörten zur Thälmann-Abteilung auch die Krankenschwestern Emilia und Irma Mayer und ein 15jähriger Junge aus dem Elsass, der Carlo hieß und zum Kurier ernannt wurde", sagt Petar Kavgic. "Nach und nach schlossen sich weitere Kämpfer an", so der Lokalhistoriker, der seit Jahren die Geschichte Slawoniens erforscht, "ein Deutscher aus den Niederlanden, ein Wehrmachts-Überläufer, der wegen seiner Statur 'der kleine Karl' genannt wurde oder auch Wilhelm Jung aus Vukovar, der sich so seiner Einberufung in die SS entzog."

Über hundert Gefallene

Die Thälmann-Abteilung operierte erfolgreich bis zum 27. November 1943, als die slawonischen Partisanen mit Panzerverbänden der deutschen Wehrmacht zusammenstießen. Bei den schweren Kämpfen kamen die allermeisten Telmanovci ums Leben, darunter auch die beiden Söhne des politischen Kommissars der Abteilung, Johann "Ivan" Mucker aus Daruvar.

Ungefähr die Hälfte der Gefallenen wurden in zwei Gräbern begraben, eins davon auf dem katholischen, eins auf dem orthodoxen Friedhof im 15 Kilometer von Slatina entfernten Dorf Mikleus. Die Begräbnisorte der anderen Telmanovci sind unbekannt. Die wenigen deutschen Partisanen, die überlebten, wurden in andere Einheiten der jugoslawischen Volksbefreiungsarmee integriert.

Das Erbe der Telmanovci

Nach dem Sieg über Hitlerdeutschland 1945 wurden die in Jugoslawien verbliebenen Deutschen in Lager interniert. "Als die Lager 1946-48 nach und nach aufgelöst wurden, wanderten die meisten nach Westdeutschland aus", erklärt Historiker Carl Bethke. Dass es auch Deutsche unter den Partisanen gegeben hatte, geriet in Vergessenheit.

Erst 1984 erschien mit "Telmanovci" von Nail Redzic eine militärgeschichtliche Arbeit über die deutsche Einheit bei den jugoslawischen Partisanen. Herausgegeben wurde das Buch von der damaligen jugoslawischen Volksarmee. 1997 legten der aus der DDR stammende Historiker Heinz Kühnert und der ehemalige DDR-Diplomat Franz-Karl das Sachbuch "Deutsche bei Titos Partisanen" vor.

1986 erschien in der DDR Wolfgang Helds Roman "Lasst mich doch eine Taube sein". Die Geschichte eines Slawonien-deutschen Kaufmann, dessen Sohn in der SS ist und die Tochter bei den Telmanovci, wurde von Jugoslawien und der DDR gemeinsam verfilmt. Im Sommer 1990 wurde "Ich wünschte, ich wäre eine Taube" (Volio bih da sam golub) auf dem Filmfestival im jugoslawischen Pula uraufgeführt, ohne viel Aufsehen zu erregen. Im darauffolgenden Oktober hörte die DDR auf zu existieren, wenig später zerfiel Jugoslawien.

Die Antifaschisten aus Slatina wollen die Geschichte der Telmanovci jetzt einem größeren Publikum bekannt machen. Sie haben einen Brief an Bundeskanzlerin Angela Merkel geschickt. "Wir sind der Meinung, dass Sie über diese bemerkenswerten Ereignisse aus dem Zweiten Weltkrieg informiert werden sollten, weil sie verdienen, bekannt gemacht zu werden und weiterer detaillierter historischer Forschungen bedürfen," heißt es in dem Schreiben. "Wir wollen die Namen aller Thälmann-Partisanen recherchieren und alle Friedhöfe finden, auf denen sie begraben wurden."

Text auf Deutsche Welle