Das Camp "Lipa" bei Bihać ist nicht mehr bewohnbar. Laut UN verdoppelt sich die Zahl der Menschen, die im Wald oder auf der Straße leben, auf knapp 3000. | Von Rüdiger Rossig
Am Mittwochvormittag brach im Flüchtlingslager "Lipa" in Westbosnien Feuer aus. "Wir wissen nicht, wer den Brand gelegt hat," sagt der 30-jährige Halim aus Pakistan, "als wir das Feuer bemerkt haben, sind wir einfach mit unseren Sachen nach draußen gerannt".
"Soweit wir derzeit wissen, hat eine Gruppe von ehemaligen Bewohnern Zelte und Container angezündet, nachdem die meisten Migranten das Lager bereits verlassen hatten", berichtet Peter Van der Auweraert, Westbalkan-Koordinator der Hilfsorganisation "International Organisation for Migration" (IOM), die Lipa bis heute früh betrieben hatte.
Die IOM hatte das Camp vor dem Brand angekündigterweise aufgegeben. Leiter Van der Auweraert erklärt, die Zustände dort seien so dramatisch gewesen, dass seine Organisation keine andere Wahl gehabt hätte, als sich zurückzuziehen: "In Lipa herrschten keine Bedingungen für den Aufenthalt von Menschen."
Seit September 2018 halten sich ständig Tausende Migranten vor allem aus Pakistan, Afghanistan, Marokko, Iran und dem Irak im Gebiet an der Westgrenze Bosnien und Herzegowinas auf. Ihr Ziel ist die EU. Immer wieder wird der Grenzpolizei des benachbarten EU-Mitgliedstaats Kroatien vorgeworfen, Migranten durch illegale Pushbacks daran zu hindern, Asylanträge zu stellen.
Auf der bosnischen Seite der Grenze hat sich das Verhältnis der Bevölkerung zu den Migranten seit Beginn der Krise vor zwei Jahren eklatant verschlechtert. Während des Bosnienkrieges 1992-95 waren viele Bosnierinnen und Bosnier selbst Flüchtlinge gewesen. Entsprechend solidarisch hatten sie 2018/19 die Migranten in Westbosnien behandelt. Einwohner von Orten wie Bihać oder Velika Kladuša versorgten die Durchreisenden mit Wasser und Essen und ließen sie ihre Handys aufladen.
Mittlerweile aber häufen sich Beschwerden über Diebstähle und Einbrüche, für die die 3000 bis 4000 Migranten, die sich heute in Westbosnien aufhalten sollen, verantwortlich gemacht werden. Immer wieder kommt es zu xenophoben Demonstrationen. Ein Grund: Es ist kein Ende der Krise in Sicht, denn die staatlichen Institutionen des Gesamtstaats Bosnien und Herzegowina blockieren sich gegenseitig, statt an Lösungen zu arbeiten. Der komplizierte Staatsaufbau, den das Land in Folge des Krieges erhielt, zeigt sich absolut unfähig, mit der aktuellen Flüchtlingskrise umzugehen.
Ein typisches Beispiel ist das Schicksal des Camps Lipa - und damit seiner Bewohner. Anfang dieser Woche hatte der gesamt-bosnische Ministerrat beschlossen, die Einrichtung zu einem ständigen Aufnahmezentrum zu machen. Bis zum Abschluss der dazu nötigen Umbauten im Frühjahr 2021 hätten die dort untergebrachten Migranten eigentlich in das etwa 30 Kilometer entfernte ehemalige Camp Bira umziehen sollen. Doch die Behörden des Kantons Una-Sana, einer der zahlreichen Verwaltungseinheiten des Landes, lehnen eine Wiederbelebung der im September geschlossenen Einrichtung kategorisch ab.
Die Folge: Für die Migranten, die bisher in Lipa lebten, gibt es jetzt, nach dem Brand in ihrem ehemaligen Camp, gar keine Bleibe mehr. Und auch die geplante Wiedereröffnung des renovierten Lagers im Frühling ist angesichts der nun notwendigen Reparaturen und zahlreicher anderer Um- und Einbauten alles andere als sicher.
"Dies ist ein schrecklicher Tag für die Migranten," kommentiert IOM-Chef Van der Auweraert den Zustand. "1359 Menschen haben nun keinen Ort mehr zum Leben." Auch für die lokale Bevölkerung sei der Brand in dem Lager eine schlechte Nachricht: Heute Nachmittag waren viele Menschen, die bisher im Lager Lipa gehaust hatten, zu Fuß auf dem Weg nach Bihać, wo ein Teil Bevölkerung bereits seit Monaten gegen Migranten protestiert.
Die Mission der Vereinten Nationen in Bosnien äußerte sich besorgt über die neue Situation. Zusammen mit der IOM fordert die UNO eine Winterausstattung des Camps Lipa, wenn die Schäden durch den Brand erstmal beseitigt sind. "Mit mindestens weiteren 1500 Migranten, darunter Frauen und Kinder, die bereits jetzt in den Wäldern im Kanton Una-Sana leben, erhöht sich die Gesamtzahl der Menschen, die humanitäre Hilfe benötigen, auf knapp 3000", so die UNO. Die bosnischen staatlichen Institutionen müssten nun endlich Maßnahmen ergreifen, um ein Management der Migrantenkrise zu ermöglichen.
"Und wohin gehen wir jetzt?", fragt Halim aus Pakistan. "Wir haben ein Lunchpaket und einen Schlafsack bekommen, das ist alles. Was sollen wir jetzt tun?" Er will in Bihać darauf warten, bis ihm irgend jemand eine neue Unterkunft zuweist. Er wartet im Freien. Bei zur Zeit fünf Grad Celsius. Tendenz fallend.