Aus dem für Samstag um 12.00 Uhr angekündigten Waffenstillstand für Bosnien-Herzegowina wurde wenig mehr als eine kurze Feuerpause: Schon am Nachmittag meldeten die Agenturen wieder Kämpfe. Die Waffenruhe, die am Dienstag und Donnerstag in geheimen Verhandlungen zwischen dem bosnischen Präsidenten Alija Izetbegovic, seinem kroatischen Amtskollegen Franjo Tudjman und dem "Präsidenten" des selbsternannten "Parlamentes" der bosnischen SerbInnen, Momcilo Krajisnik, in Genf ausgehandelt worden war, hielt somit nur wenige Stunden. Da darf es nicht verwundern, daß ein positiver Ausgang der für den kommenden Dienstag angesetzten "Friedensverhandlungen" in- und außerhalb Bosniens weiterhin bezweifelt wird.
Die Möglichkeit einer echten Waffenruhe hatte sowohl bei der UNO als auch bei den bedrängten Menschen in Bosnien große Hoffnungen ausgelöst. US-Außenminister Warren Christopher ging gar so weit, der Republik Serbien die Aufhebung des seit über einem Jahr andauernden UN-Embargos für den Fall eines Endes der Kämpfe in der Nachbarrepublik in Aussicht zu stellen. Daran, daß es damit angesichts erneuter serbisch-bosnischer Feindseligkeiten in Zentralbosnien wohl nichts werden wird, können auch die euphorischen Äußerungen des serbischen Präsidenten Slobodan Milosevic nichts ändern: Der ließ aus Belgrad verlauten, es gehe letztendlich doch nur um ein Prozent des bislang bosnischen Territoriums, und "ein Prozent" habe "in der Geschichte noch nie einen Frieden verhindert".
Entlang der herzegowinischen Front im Süden Bosniens beschossen sich gestern bosnische und bosnisch-kroatische Truppen - als wäre der Waffenstillstand nie unterzeichnet worden. Bosnische Truppen durchbrachen bei Vitez die kroatischen Linien und fügten deren Miliz "Kroatischer Verteidigungsrat" (HVO) schwere Verluste zu. Am Samstag war das internationale Vermittlerduo David Owen und Thorvald Stoltenberg in der kroatischen Hafenstadt Split mit der Führung der HVO unter deren "Präsident" Mate Boban zusammengetroffen. An dem Gespäch nahmen auch Tudjman und der kroatische Verteidigungsminister Gojko Susak teil.
In Zentralbosnien konnten sich gestern nach Angaben der UNPROFOR immerhin die Hilfskonvois ungehindert bewegen. Ein Sprecher der Blauhelme, Oberstleutnant Bill Aikman, sprach in Sarajevo von einem "dramatischen" Rückgang der Feindseligkeiten in der Region. Nach seiner Ansicht könnten unter anderem die zerstörten Kommunikationslinien in dem seit 18 Monaten umkämpften Land der Grund für die fortdauernden Kämpfe sein. Möglicherweise hätten regionale Kommandanten den Befehl zum Waffenstillstand bisher nicht erhalten.
In Sarajevo betonte derweil der bosnische Präsident erneut seine Zweifel an den Chancen eines Friedens in seinem Land. Bisher habe sich weder die serbische noch die kroatische Seite zum Einlenken in den für die Bosnier zentralen Punkten - der Frage nach einem Zugang zur Adria für die künftige "muslimische" Teilrepublik und deren Grenzen - bewegt. "Es ist keine Frage, ob Serben und Muslime zusammen leben können, sondern ob sie gemeinsam das Land wiederaufbauen können", sagte Izetbegovic weiter.
In der serbisch besetzten Provinz Kosovo erschossen serbische Polizisten am Samstag einen 20jähriger Albaner. Wie die Belgrader Nachrichtenagentur Tanjug berichtete, hatte der Mann in der Stadt Podujevo auf eine Polizeistreife geschossen, die das Feuer erwidert habe. Die oppositionelle "Liberaldemokratische Partei des Kosovo" erklärte dagegen, die vierköpfige Polizeistreife habe das Feuer von hinten auf den in seinem Auto sitzenden Albaner eröffnet.