Rüdiger Rossig | Journalist | Novinar

Friedensaktivisten beziehen Stellung

Eine kleine Gruppe Friedensbewegter will sich dieser Tage - ohne Billigung und Schutz der UNO - nach Mostar aufmachen, um zwischen den Fronten der umkämpften Hauptstadt der Herzegowina einen Waffenstillstand zu erzwingen | Von Rüdiger Rossig

"Samen des Friedens" nennt sich eine Gruppe PazifistInnen aus England, Deutschland, den Niederlanden, Österreich, Frankreich und den USA, die sich gestern im kroatischen Split versammelt hat, um sich auf den Weg nach Mostar zu machen. Ziel der dreißig Frauen und Männer ist es, in der umkämpften Hauptstadt der Herzegowina einen Waffenstillstand zu erzwingen, indem sie sich zwischen die Fronten stellen und dort ein von südafrikanischen Moslems gespendetes mobiles Krankenhaus mit einer Kapazität von 360 Betten aufbauen.

"Vorbild" der Aktion ist der UN-Hilfskonvoi, dessen Blauhelm-Begleiter vom 26. August bis Anfang September im muslimischen Ostteil der Stadt von eingeschlossenen bosnischen ZivilistInnen als Geiseln genommen worden waren. Anders als die Blauhelme damals wollen die AktivistInnen allerdings freiwillig ihre Haut riskieren.

Mostar, einst nicht nur wegen seiner malerischen Brücke touristisches Aushängeschild der Herzegowina, gleicht Ende November 1993 einer Mondlandschaft. Journalisten, denen es gelang, in die umkämpfte Stadt zu gelangen, vergleichen das "muslimische Ghetto" - in dem 30.000-60.000 Menschen eingekesselt sind, seitdem im September das Bündnis von bosnischer Regierung und kroatischer HVO-Führung gegen die bosnischen Serben zerbrach - mit dem Berliner Stadtzentrum am Ende des Zweiten Weltkrieges: Kein Haus ist unbeschädigt geblieben, es gibt keinen Strom, keine Heizung, keine Decken - von Nahrungsmitteln oder gar Medikamenten ganz zu schweigen. Gegenüber, auf der Westseite der Schlucht, in der das grüne Wasser der Neretva fließt, stehen Milizionäre des "Kroatischen Verteidigungsrates" (HVO). Dazwischen liegt die "alte Brücke", die vor zwei Wochen von einer kroatischen Panzergranate getroffen wurde, in Fetzen in der Neretva.

Das UN-Hochkommissariat für Flüchtlinge (UNHCR) bezeichnet die Situation am östlichen Ufer der Neretva in seinen Presseinformationen schlicht als "katastrophal". Die Eingeschlossenen, zum einen Teil alteingesessene BürgerInnen von Mostar, zum anderen Flüchtlinge aus allen Teilen Bosnien-Herzegowinas, vegetieren dem Tod entgegen. Hilfe ist nicht in Sicht.

Klare Abgrenzung von gescheiterter Sarajevo-Aktion

Die TeilnehmerInnen von "Sjeme Mira" (Samen des Friedens) sind sich dieser Situation bewußt. Auch wissen sie, daß von offizieller Seite zur Zeit von einer Reise in die Hauptstadt der Herzegowina abgeraten wird. Mit dem Anmeldungsformular, das der "Bund für Soziale Verteidigung" (BSV) in Minden, der die Aktion in Deutschland vertritt, an die fünf TeilnehmerInnen aus Deutschland geschickt hat, mußten diese gleichzeitig folgende Erklärung unterschreiben: "Mir ist bewußt, daß meine persönliche Sicherheit gefährdet sein kann (...), daß ich auf eigene Gefahr an ,Sjeme Mira' teilnehme und die Organisatoren nicht für einen eventuellen Schaden an Leib, Leben und Eigentum verantwortlich machen werde."

Neben dieser Bereitschaft setzen die Organisatoren voraus, daß die "Sjeme Mira"-TeilnehmerInnen mit der Situation in Ex-Jugoslawien, besonders in Bosnien, vertraut sind. Der Kreis der möglichen Mitfahrer wurde somit von Anfang an auf wenige AktivistInnen der internationalen Friedensbewegung begrenzt - unter ihnen die BSV-Hauptamtliche Christine Schweitzer, die seit Beginn des Krieges auf dem Balkan in den ex- jugoslawischen Republiken unterwegs ist. Die 34jährige PazifistIn hatte unzählige Male Gelegenheit, in Kroatien und Bosnien Erfahrung mit Konfliktsituationen und deren gewaltfreier Lösung zu sammeln.

Christine Schweitzer hat "Sjeme Mira" vom Anfang an mitgestaltet. Am Anfang dieses neuen Versuches einer zivilen Intervention in Bosnien-Herzegowina stand unter anderem ihre Kritik an "Mir Sada" (Frieden Jetzt), dem Friedensmarsch nach Sarajevo, der Anfang August kläglich gescheitert war. Nicht nur war die Organisation damals mangelhaft, auch die Ziele von "Mir Sada" waren im Vorfeld nicht diskutiert worden. Schon am Treffpunkt im kroatischen Split war es zu erheblichen Meinungsverschiedenheiten unter den rund 3.000 FriedensmarschiererInnen gekommen. Die große Zahl der TeilnehmerInnen und die kurze Vorbereitungszeit von "Mir Sada" hatten nach Auffassung Christine Schweitzers das Entstehen von in Konfliktsituationen kommunikationsfähigen Gruppen verhindert.

Viele der angereisten PazifistInnen hatten sich zudem kurzfristig entschlossen, nach Sarajevo zu fahren - oft ohne sich der damit verbundenen Gefahren bewußt zu sein. Die Diskussionen auf dem Weg in die Grenzstadt Prozor waren dementsprechend wenig fruchtbar, inhaltliche Gegensätze brachen auf, ohne daß die TeilnehmerInnen darauf vorbereitet gewesen wären. Der politische Grundkonsens ging über die Position, irgendwie für den Frieden zu sein, kaum hinaus. Dementsprechend weit gespannt war das Meinungsspektrum unter den MarschiererInnen. "Mir Sada" wurde irgendwo zwischen klar pazifistischen und halb interventionistischen Positionen zerrieben.

Für Christine Schweitzer war nach dem Scheitern von "Mir Sada" klar, daß "Sjeme Mira" eben diese Fehler vermeiden mußte. Die Reise soll zur Bildung von Gruppenstrukturen genutzt werden, innerhalb derer sich die Friedensmarschierer in Konfliktsituationen verständigen können sollen. Um dem Vorwurf der Einseitigkeit zu entgehen, wurde die Aktion zwar bei den zuständigen Stellen der UNO und den Kriegsparteien angekündigt - um Erlaubnis gefragt wurde aber nicht. Auch rechnen die Organisatoren nicht mit Unterstützung von irgendwem außerhalb der Gruppe.

Die politischen Ziele der Aktion haben die TeilnehmerInnen nach eigenem Dafürhalten in den letzten Wochen ausgiebig diskutiert. Eine militärische Intervention lehnen sie durchweg ab, vielmehr will "Sjeme Mira" die Soldaten der kriegsführenden Parteien dazu bringen, die Waffen niederzulegen. Zumindest während der Anwesenheit der Gruppen würde sich so die aktuelle Lage der rund 150.000 Menschen in der Stadt wesentlich verbessern - auf beiden Seiten der Neretva.