Der kroatische Präsident Franjo Tudjman hat erstmalig indirekt zugegeben, daß in Bosnien-Herzegowina reguläre Truppen der Kroatischen Armee (HV) eingesetzt werden. Der "Massenmord an den Kroaten" habe eine Situation geschaffen, "in der die Welt Verständnis für die Schritte aufbringen muß, die wir zum Schutz des kroatischen Volkes ergreifen müssen", orakelte der ehemalige Partisanengeneral in einer Fernsehdiskussion in Zagreb am letzten Donnerstag.
Wesentlich deutlicher erläuterte Tudjman, wie dieser "Schutz" in der Praxis aussehen könnte: Das seit etwas über einem Jahr international anerkannte Kroatien könne derzeit nicht mehr für die Sicherheit der muslimischen Flüchtlinge im Lande garantieren. In einer Situation, in der Hunderttausende bosnische KroatInnen von Truppen der Regierung in Sarajevo belagert würden, sei der "berechtigte Zorn" der kroatischen Bevölkerung auf die Muslime im Lande nur zu verständlich, so Tudjman.
Dieser Zorn wird nach Angaben des kroatischen Komitees der "Helsinki Citizens Assembly" schon seit Wochen in geordnete Bahnen gelenkt: Laut dem Vorsitzenden der Menschenrechtsorganisation, dem Oppositionspolitiker Zvonimir Cicak, wurden bisher rund 3.000 bosnische Flüchtlinge kroatischer Abstammung zur Armee eingezogen - für den Einsatz in der Nachbarrepublik. Ein Sprecher der kroatischen Streitkräfte bestritt zwar diese Darstellung, räumte aber ein, daß die Armee "eine freiwillige Reservebrigade von bosnischen Kroaten" aufgestellt habe. Diese seien bereit, "ihre angestammte Heimat zu verteidigen".
Schon in der letzten Woche hatten Kroatiens Außen- und Verteidigungsminister, Mate Granic und Gojko Susak, mit einem militärischen Eingreifen in Bosnien gedroht. Bis dato hatte Kroatien eine direkte Verwicklung in den bosnischen Krieg bestritten. Bosnische Quellen dagegen berichten schon seit Monaten von begrenzten Einsätzen kroatischer Armee-Einheiten auf der Seite der Miliz "Kroatischer Verteidigungsrat" (HVO). Auch Beobachter der Europäischen Union (EU) hatten auf vereinzelte Aktivitäten regulärer kroatischer Truppen in Bosnien hingewiesen.
Der bosnische Ministerpräsident Haris Silajdzic äußerte sich folglich am Freitag abend wenig überrascht über das Bekenntnis des kroatischen Präsidenten. Erstaunlich sei allenfalls die neue Offenheit Tudjmans, dessen Fernsehansprache Silajdzic als Vorbereitung zu einer "neuen Intervention" Kroatiens in der
Nachbarrepublik interpretierte.
Von der für die Zeit zwischen Weihnachten und Silvester angekündigten Waffenruhe in Bosnien fehlte derweil jede Spur: Der bosnische Rundfunk meldete aus Sarajevo, Mostar und Gracanica im Norden des Landes schwere Kämpfe. Beim Beschuß der bosnischen Hauptstadt wurde ein Soldat der Schutztruppen der Vereinten Nationen (Unprofor) leicht verletzt. Deren Kommandeur, der französische General Jean Cot, kündigte gestern an, er werde die "fortwährende Erniedrigung" seiner Truppen nicht länger hinnehmen.