Die "ethnische Säuberung" Bosnien-Herzegowinas steht vor einem neuen Höhepunkt: Nachdem das Internationale Komitee vom Roten Kreuz (IKRK) vor zwei Wochen erstmalig 450 MuslimInnen und KroatInnen aus der sogenannten "Serbischen Republik" evakuiert hatte, beschloß das UN-Hochkommissariat für Flüchtlinge (UNHCR) am Wochenende, alle 9.000 nichtserbischen BewohnerInnen der Stadt Prijedor in geschlossenen Lastwagen aus den von den bosnischen Serben besetzten Gebieten herauszubringen.
Tatsächlich spitzt sich die Lage der BosnierInnen muslimischer und kroatischer Abstammung seit Monaten zu. Trotzdem waren das UNHCR und andere Hilfsorganisationen bisher bei ihrem Konzept einer Hilfe am Heimatort geblieben. Erst seit bewaffnete ZivilistInnen in der letzten Woche in Prijedor erneut 22 nichtserbische Menschen auf offener Straße ermordeten, änderten die Hilfsorganisationen offenbar ihr Konzept. Der selbsternannte "Präsident" der bosnischen Serben, Radovan Karadzic, ordnete derweil am Wochenende die Festnahme von zwei Tatverdächtigen an.
Die Evakuierung der rund 9.000 in Prijedor verbliebenen Bosnier muslimischer beziehungsweise kroatischer Abstammung könnte das Ende der nichtserbischen Besiedlung der ganzen Region einläuten. Bevor der Krieg um Bosnien am Osterwochenende vor zwei Jahren begann, lebten in der Stadt 112.000 Menschen, von denen sich 44 Prozent als Muslime und 5,6 Prozent als Kroaten bezeichneten. Nach mittlerweile von der UN bestätigten Angaben von Journalisten haben die serbischen Besatzungsbehörden bereits in den letzten zwei Jahren Tausende Menschen, von ihnen als "nationale Minderheiten" bezeichnet, in Viehwaggons deportiert und zum Teil ermordet. Die Überlebenden wurden bisher nach Zentralbosnien gebracht und dort in von der bosnischen Regierung kontrollierte Gebiete getrieben.
Heute leben die noch 40.000 bis 60.000 in der "Serbischen Republik" verbliebenen Kroaten und Muslime in einer Atmosphäre alltäglichen Terrors. Sie werden aus ihren Häusern vertrieben, die dann für serbische Flüchtlinge requiriert oder auch gleich in die Luft gesprengt werden. Fast alle Moscheen und katholische Kirchen sind zerstört. Die serbischen Behörden behaupten, den "Volkszorn" gegen die "nationalen Minderheiten" nicht kontrollieren zu können. Trotzdem hatte sich das UNHCR bisher stets geweigert, eine sichere Ausreise zu ermöglichen. Ein leitender UNHCR-Mitarbeiter in der serbischen Hochburg Banja Luka, der Ende Februar MitarbeiterInnen der Sarajevoer Tageszeitung Oslobodjenje gestand, die Hilfsorganisationen könnten die Sicherheit der muslimischen und kroatischen BosnierInnen in der "Serbischen Republik" nicht mehr garantieren, mußte seinen Posten quittieren.
Thierry Germond vom IKRK blieb am Osterwochenende gegenüber dem US-amerikanischen Magazin Newsweek dabei, daß seine Organisation die "ethnischen Säuberungen" auch weiterhin nicht unterstützen wolle. "Aber weil die internationale Gemeinschaft in Nordwestbosnien gezeigt hat, daß sie unfähig ist, die Zivilbevölkerung zu schützen, können wir nicht einfach dort sein und die Leichen zählen", so Germond weiter. "Wir können uns nicht hinstellen und sagen: Ihr müßt bleiben."
Auch die bosnische Regierung scheint ihren Widerstand gegen die Evakuierungen aufgegeben zu haben. Premierminister Haris Silajdzic sagte, daß die Entscheidung von IKRK und UNHCR zwar für das Dilemma einer internationalen Gemeinschaft stehe, die die "ethnische Säuberung" Bosniens nicht verhindern könne, "aber Leben kommt zuerst". Über die Einzelheiten der Evakuierung wollten sich UNHCR und Serbenführer Karadzic gestern in Pale einigen. Fest steht nur, daß die Vertriebenen zunächst nach Kroatien verbracht werden sollen.