Rüdiger Rossig | Journalist | Novinar

Ein Toter und der Streit zwischen Volkswagen und seinem Zulieferer Prevent

Der nicht zuletzt durch die Dieselaffäre gebeutelte Autokonzern VW muss sich mit einem Abhörskandal samt Leiche auseinandersetzen. Dabei spielt der Umgang mit dem ungeliebten Zulieferer Prevent eine wichtige Rolle. | Von Klaus Ulrich

Die Abhöraffäre beim größten europäischen Autobauer Volkswagen gleicht einem Kriminalroman: Da wird eine Leiche im ausgebrannten Auto eines mutmaßlichen Spitzels gefunden, gegen den die Staatsanwaltschaft Braunschweig ermittelt.

Nach einer DNA-Analyse hat die Behörde am Wochenende nun bestätigt, dass es sich bei dem Toten um den Halter des Fahrzeugs handelt und damit um jenen früheren Volkswagen-Manager, dem der Konzern vorwirft, brisante Firmeninterna weitergegeben zu haben. Laut Staatsanwaltschaft deutet vieles auf Suizid hin, abschließend geklärt ist das aber noch nicht.

Vor drei Monaten hatte es bereits einen Brandanschlag gegeben. Ziel war das Haus des Verdächtigen. Er war zu diesem Zeitpunkt vom Dienst freigestellt, weil er in den Jahren 2017 und 2018 Gespräche einer Arbeitsgruppe bei VW mitgeschnitten haben soll. Thema war dabei der Umgang mit dem ungeliebten Zulieferer Prevent.

Volkswagen und Prevent liegen seit Jahren in einem erbitterten Clinch. Der Autozulieferer wird von der bosnischen Unternehmerfamilie Hastor kontrolliert.

Beide Unternehmen mit schlechtem Image

Das Image von VW  ist spätestens seit dem Dieselskandal beschädigt.. Auch bei Prevent ist die öffentliche Wahrnehmung in der Heimat des Unternehmens eher negativ. Prevent in Bosnien gilt als Prototyp eines Spielers aus der Phase des aggressiven Kapitalismus nach Ende des Balkankrieges (1992 bis Anfang 1996).

Der Firma, gegründet von Nijaz Hastor, eilt der Ruf als unsozialer Arbeitgeber mit inkompetentem Management voraus, was regelmäßig zu Streiks und Klagen führte. Hastor selbst war früher Manager im TAS-Autowerk von Sarajewo, wo zu kommunistischen Zeiten 20 Jahre lang VW-Modelle gebaut wurden. 

Prevent-Eigentümer hält sich im Hintergrund

Der Familie Hastor ist es gelungen, sich weitgehend aus der öffentlichen Debatte herauszuhalten. Das funktioniert unter anderem, weil kein Familienmitglied in Bosnien lebt. Nijaz Hastor und seine Söhne Damir und Kenan erscheinen gelegentlich kurz im Lande, um Aufsichtsratssitzungen zu leiten - treten dabei aber quasi nie öffentlich auf. Um die Außendarstellung kümmern sich angestellte Prevent-Führungskräfte.

Am wirtschaftlichen Erfolg der Firma dagegen gibt es weder in Bosnien noch anderswo auf dem Westbalkan Zweifel. Prevent gibt die Zahl der Beschäftigten auf seiner Webseite mit "mehr als 10.000 weltweit" an. Allein in Bosnien beschäftigt das Unternehmen rund 7500 Menschen. Ein wichtiger Arbeitgeber also angesichts einer Arbeitslosenquote von 18 Prozent (vor Beginn der Corona-Krise). Die meisten Mitarbeiter außerhalb Bosniens hat Prevent in Deutschland.

In den Medien der meisten Westbalkanstaaten und auch des EU-Mitglieds Kroatien findet das Thema Prevent und der Konflikt mit VW kaum Beachtung. Nur in Bosnien und Herzegowina, dem Herkunftsland der Hastors, wird öfter berichtet - aber in sehr neutralem Ton. Nur das große Online-Portal klix.ba schreibt häufig positiv über Prevent und seine Besitzer.

Produktionsstopp bei VW

Die deutschen Prevent-Töchter ES Automobilguss und Car Timm hatten im August 2016 die Lieferung mit Getriebegehäusen und Sitzbezügen zwischenzeitlich ausgesetzt, was VW zu einem mehrtägigen teuren Produktionsstopp im Stammwerk Wolfsburg und an weiteren Standorten zwang.

Die Firmen warfen Volkswagen Machtmissbrauch vor. Der Autobauer habe Aufträge "frist- und grundlos" gekündigt und lehne einen finanziellen Ausgleich dafür ab, hieß es damals. Der Lieferstopp geschehe zum Selbstschutz und im Kampf für die Zukunft der eigenen Mitarbeiter, teilten die Prevent-Töchter mit.

Der mächtige VW-Betriebsratschef Bernd Osterloh attackierte dagegen die beiden Firmen: "Nach unserer Auffassung liegt die Verantwortung eindeutig beim Zulieferer", so Osterloh in einem Interview.

Ob hinter dem Konflikt eigentlich ein Preiskampf stand, ist unklar - darüber wird aber bis heute spekuliert. Wegen der immensen Belastungen durch den Dieselskandal, der im Herbst 2015 seinen Anfang nahm, musste Volkswagen 2016 seinen Sparkurs bei der renditeschwachen Konzern-Kernmarke VW verschärfen.

Abhängigkeit vom Zulieferer

"Ich sehe keinen Zusammenhang zu der Dieselaffäre", hatte dagegen Analyst Frank Schwope von der NordLB damals im Gespräch mit der DW gesagt. "Aber es sind natürlich wieder Negativ-Schlagzeilen, die VW letzten Endes auch Geld kosten."

Volkswagen hatte alle juristischen Mittel ausgeschöpft, um die Belieferung seiner Werke wieder in Gang zu bringen. Dazu gehörten auch die Androhung von Ordnungsgeld und Ordnungshaft gegen die beiden Firmen und deren Management. Zudem hatten die Wolfsburger eine Ermächtigung angestrebt, die benötigten Bauteile bei ES Automobilguss abholen zu lassen.

VW war bei den Komponenten, die während der Auseinandersetzung nicht mehr geliefert wurden, offensichtlich von den Zulieferern abhängig. Vor allem bei dem wichtigen Getriebeteil hat sich VW für das Erfolgsmodell Golf in weiten Teilen auf nur einen Zulieferer verlassen. Das Prinzip ist in der Branche bekannt als "single sourcing" (Einzelquellenbeschaffung).

Fehler bei VW?

Der Autoexperte Ferdinand Dudenhöffer sprach 2016 in diesem Zusammenhang von "Fehlern" bei VW: "Wenn man schon auf single sourcing geht, braucht man eine sehr solide und äußerst stabile Geschäftsbeziehung."

Der Lieferstopp wirbelte große Teile der Produktion bei VW empfindlich durcheinander. Allen voran stand die Golf-Produktion im Stammwerk Wolfsburg still.

Trennung trotz Einigung

Nach zähen Verhandlungen erzielten die Kontrahenten schließlich überraschend schnell eine Einigung im Lieferstreit. Details wurden nicht bekannt. Über die Inhalte der Einigung sei Stillschweigen vereinbart worden, hatte es seinerzeit von VW geheißen. Dagegen hatte die Hannoversche Allgemeine Zeitung unter Berufung auf Verhandlungskreise berichtet, die Unternehmen hätten eine langfristige Partnerschaft geschlossen.

Fest steht jedenfalls, dass VW im März 2018 alle Verträge mit Prevent kündigte. Seither führen beide Parteien mehrere Gerichtsverfahren gegeneinander wegen Schadensersatz und überhäufen sich gegenseitig mit Vorwürfen.

Hintergründe weiterhin unklar

Vorher beriet sich der Autokonzern offenbar längere Zeit, ob und wie Prevent "ausgesteuert" werden sollte, wie es im Branchenjargon heißt. Genau bei diesen Beratungen wurden illegal rund 50 Stunden Audiomaterial aus mindestens 35 Aufnahmen illegal erstellt und dem Online-Nachrichtenportal "Business Insider" zugespielt. Der Hauptverdächtige dieser Abhöraffäre ist nun tot, die Hintergründe sind weiterhin unklar.

Als Ende Juli erstmals über die Tonbandmitschnitte berichtet wurde, ließ Prevent mitteilen, "dass den Verantwortlichen bei Volkswagen offenbar jedes Mittel recht war, um unabhängige Zulieferer auszuschalten". Eine "Beteiligung an der Entstehung dieser Aufzeichnungen und jedes Wissen darüber" wies Prevent "klar" zurück.

(Mitarbeit: Rüdiger Rossig)

Text bei Deutsche Welle