Rüdiger Rossig | Journalist | Novinar

Fieser Mob!

Jugoslawien im Wandel? Keine Spur. Lesben und Schwule werden verfolgt wie je | Von Bojan Aleksov

Bei "Arkadija" hatten man lange diskutiert, bis der Entschluss gefasst war, aber er war unumgänglich. Am 25. Juni 1991 stellte man sich im Rahmen einer Podiumsdikussion in Belgrad vor: das erste öffentliche Auftreten von Schwulen und Lesben in einem Balkanland.

Jugoslawien war unter sozialistischen Verhältnissen ein sexuell weitgehend intolerantes Land. In den südlichen Teilrepubliken waren körperliche Beziehungen zwischen Männern strafbar. Die entsprechenden Gesetze wurden zwar nicht mehr angewandt, aber die Polizei benutzte sie, um Homosexuelle zu bedrohen. Schwule wurden ohne Grund festgenommen und während der Verhöre geschlagen und gefoltert.

Aber selbst Regimegegner und Menschenrechtsaktivisten entschuldigten die allgemeine Homophobie mit Verweis auf die schwierige politische und wirtschaftliche Lage des Landes. Im Klartext: Schwulenrechte müssen warten. Doch Mitte der Achtzigerjahre kam ein anderer Wind auf. Neue, von der Kommunistischen Partei unabhängige Bewegungen entstanden, zunächst im nördlichen Slowenien. Dort meldeten sich Feministinnen, AntimilitaristInnen und Umweltschützer zu Wort.

Sie fanden rasch Nachahmer in den anderen Republiken. Gemeinsame Forderung: Demokratisierung und Einhaltung der Menschenrechte. Es schien logisch, dass auch das Recht auf individuelle sexuelle Vorlieben dazu zählt. Die Belgrader Veranstaltung am 25. Juni 1991 verlief deshalb ungestört und fand ein positives Echo in den Medien.

Leider erreichten die Teilnehmer noch am selben Tag schlechte Nachrichten: Slowenien und Kroatien hatten sich für unabhängig erklärt. Der Krieg brach aus. Somit blieb dieser erste Versuch eines schwul-lesbischen Coming-out für viele Jahre der letzte. Peder, das serbische Wort für Schwuler, wurde zur gebräuchlichen Vokabel, um den politischen Gegner herabzusetzen.

Bis heute spielen Homosexuelle in den serbischen Medien negative Rollen - als Verführer Minderjähriger, als Vergewaltiger, als Sadomasochisten. Und immer wieder kommt es zu Gewalt und Mord an Schwulen, die in Stadtparks nach Sexualpartnern Ausschau halten. Gerichtlich bestraft werden die wenigsten Täter. Wen kümmert schon ein toter Schwuler?

Vor zwei Jahren, als Slobodan Milosevic gestürzt worden war, schien die Zeit reif für einen Klimawechsel. Die Belgrader Homos brachten ihre Forderung nach einem besseren Leben im folgenden Sommer auf einer Demonstration vor. Die Botschaft kam an - aber anders, als es sich die serbischen Schwulen und Lesben erhofft hatten.

Als die rund fünfzig DemonstrantInnen mit Luftballons und Regenbogenfahnen auf dem Platz der Republik ankamen, erwarteten sie dort mehrere hundert Mitglieder ultranationalistischer Organisationen, Skinheads und Fußballfans. Innerhalb von Minuten ging der mit Stöcken und Steinen bewaffnete Mob auf die Demonstration los - und die Polizei zog sich zurück.

Die neuen demokratischen Politiker reagierten kleinlaut oder gar nicht. Auch die orthodoxe Kirche schwieg. In der Presse erschienen Kommentare, laut denen die pederi nur bekommen hatten, was sie verdienen. Hinzu kamen "wissenschaftliche" Beiträge, in denen Homosexualität als "unserbischer" Import westlicher Kultur oder als Krankheit dargestellt wurde. Für die verprügelten Schwulen und Lesben zerplatzte die Illusion von einem neuen Serbien wie eine Seifenblase.

Und die Reaktion der westlichen Balkanspezialisten in Politik und Medien? Funkstille. Homosexuelle passen wohl nicht ins westliche Bild eines Balkan der nationalen Fragen. Der Zusammenhang zwischen Nationalismus und der Unterdrückung von Frauen, Behinderten und Homosexuellen scheint ihnen vollkommen unbekannt. Dass im Westen, ob in den USA oder in Mitteleuropa, selbst auf grobe Verletzung der Menschenrechte nur dann reagiert wird, wenn nationale Minderheiten betroffen sind, ist eine Schande. Eine Demokratisierung des Balkan kann gelingen - wenn sie eine Demokratisierung für alle bedeutet.


Der Autor und Südosteuropahistoriker lebt in Budapest

Weitere Informationen über das schwul-lesbische Serbien unter http://www.gay-serbia.com

RÜDIGER ROSSIG übersetzte seinen Text aus dem Serbokroatischen