Rüdiger Rossig | Journalist | Novinar

Rock im Krieg

Von Rüdiger Rossig

Das waren noch Zeiten, also die Rolling Stones mit ihrem "Street Fighting Man" die Hitparade aufrollten und die Beatles von "Revolution" sangen. Als die Sex Pistols lauthals "Anarchy In The UK" propagierten und Ton Steine Scherben aus Berlin forderten "Macht Kaputt, was euch kaputtmacht". Lang ist’s her: Markige Sprüche wie diese sind alles, was übrig geblieben ist von den Wilden Sechzigern und den jungen Wilden des Punk – ein paar gute Songs, nostalgisch verklärte Erinnerungen, ein fader Mythos. Paul McCartney scheffelt Millionen. John Lennon ist tot, die Stones genießen das lukrative Frührentnerdasein – lesen Sie das Interview mit Keith Richards und Charlie Watts auf Seite 14.

Doch bisweilen geschehen Dinge, vor deren ernstem Hintergrund die Rockmusik eine Dimension zurückgewinnt, die ich längst verloren glaubte – nämlich ihren ursprünglichen rebellischen Charakter. Rock als Mittel des Widerstands: In Serbien ist diese Situation leider zum bitteren Alltag geworden. Die außer Kontrolle geratenen "Volksarmee" führt mich Rückendeckung des Milosevic-Regimes gegen Kroatien und Bosnien-Herzegowina und letztlich die eigene Bevölkerung Krieg. "Zählt nicht auf uns!" - unter diesem Motto wenden sich serbische Bands wie Ekaterina Velika oder Elektricni Ogazam, Sänger wie Boye und Rambo Amadeus gegen diesen schmutzigen Zerstörungsfeldzug. Und das sind nicht nur leere Parolen für die Hitparaden. Davon hat sich Zounds-Mitarbeiter Rüdiger Rossig vor Ort in Belgrad überzeugt. Seine ergreifende Reportage über Rock im (Bürger-)Krieg lesen Sie ab Seite 18.

Unser Mann in Belgrad

"Eine Vorort-Recherche in der Hauptstadt Serbiens mitten im Bürgerkriegs-Sommer ‚92, das mutet zunächst mal an wie ein Himmelfahrtskommando." ZOUNDS-Mitarbeiter Rüdiger Rossig, Journalist in Berlin, ließ sich davon jedoch nicht abschrecken. Denn es ging dem Jugoslawienkenner darum, "das Bild jener anderen Serben zu vermitteln, die mit Mut und Ausdauer versuchen, das Ruder zu wenden und ein Ende des sinnlosen Mordens auf dem Balkan zu erkämpfen." Rossigs Reportage beweist, welch wichtige Rolle die Rockmusik in diesem Kampf spielt.

"Zählt nicht auf uns!"

Während an der Front Blut fließt, kämpft die Opposition in Belgrad mit Gitarren und Protestsongs gegen den Krieg. Ihre Lage ist aussiechtslos – doch ans Aufgeben denken weder Musiker noch Friedenspolitiker in Serbien. ZOUNDS- Autor Rüdiger Rossig entdeckte vor Ort eine blühende Rock-Szene mitten im jugoslawischen Bürgerkrieg.

Bilduntertitel: Gas gegen Rock: Beim Protest-Konzert von Rimtuti Tuki am 22. April warf ein serbischer Nationalist eine Tränengasgranate unters Podium. Die Band spielte ungerührt weiter.

"Friede, Bruder, Friede!" Vor dem Regierungspalast in Belgrad schreit Rocksänger Rambo Amadeus seine Wut über die Kriegspolitik der Betonköpfe ins Mikro. 50 000 Einwohner der serbischen Hauptstadt klatschen Beifall.

Belgrad, im Juni 1992; Das UNO-Embargo gegen Serbien ist beschlossene Sache, als das staatliche Fernsehen ein Rock-Konzert aus der serbischen Hauptstadt überträgt. Gegen Ende der Sendung betritt ein massiger Kerl die Bühne. Rambo Amadeus ist den meisten jugoslawischen Jugendlichen als Rockstar bekannt. Mit stockender Stimme beginnt der Hüne zu sprechen: "Während ihr euch amüsiert, sterben keine hundert Kilometer von hier Menschen. Während ihr euer Bier trinkt, bombardieren die Schweine Sarajevo und Tuzla…"

Es ist ein Kampf gegen die Windmühlen, den die oppositionellen Rockbands in der serbischen Hauptstadt führen. "Unser Publikum ist nach unseren Auftritten genauso gegen den Krieg wie vorher. Aber die anderen hören uns nicht zu", klagt Milan Mladenovic, Gitarrist der Gruppe Ekaterina Velika.

In Belgrad finden diesen Sommer fast täglich Demonstrationen statt. Bis zu 50 000 gehen dann auf die Straße. Es sind junge Menschen, die gegen den Krieg und Diktatur protestieren. Das von den Hardlinern der Regierung propagierte Schaffen von "ethnisch reinen" Volksstaaten finden sie absurd wie ein eigenes serbisches Raumfahrtprogramm. Doch wenn sie die Wahl hätten, würden sie lieber mit einer serbischen Rakete zum Mars fliegen als auf Kroaten und Bosnier schießen. Sie wollen Frieden und Freiheit – oder wenigstens ein Ende des Gemetzels.

Im Zentrum der serbischen Oppositionsbewegung stehen Rockbands, die offen zum Widerstand gegen die Regierung von Präsident Slobodan Milosevic aufrufen. Die jugoslawischen Rockstars der 80er Jahre setzen ihre Popularität ein, um auch unpolitische Rockfans auf die Straße zu bringen.

Am 25. Mai, den sozialistischen Betonköpfen nach wie vor als "Tag der Jugend" feierten, gaben Bands wie Ekaterina Velika (Katharina die Große), Partibrejkers (Ungebetene Gäste), Obojeni Program (Buntes Programm) oder Elektricni Orgazam (Elektrischer Orgasmus), Sänger wie Boye oder Rambo Amadeus ein Mammutkonzert zugunsten des "Zentrums für Antikriegaktionen". Motto: "Zählt nicht auf uns!" Tatort: Der Platz der Republik, unmittelbar vor dem Parlament.

Während der Serbenführer selbst durchs Fenster Volkes Stimme vernehmen konnte, wurde das Polit-Rock-Spektakel in den staatlich kontrollierten Medien totgeschwiegen. Dort gibt es nur Siegermeldungen serbischer Truppen und Bilder angeblicher kroatische Massaker.

Dennoch brodelt die Gerüchteküche in der Stadt an Sava und Donau. Der Taxifahrer, der uns am Bahnhof abholt, weiß zu berichten, dass Deutschland seine Truppen bereits an der österreichischen Grenze zusammenzieht. Das die NATO Belgrad demnächst bombardieren werde, gilt vielen als beschlossene Sache.

Die serbische Hauptstadt ist unruhig, nervös, ein Vulkan kurz vor dem Ausbruch. "Es kann sich jeden Tag etwas ändern", meint Rock-Journalist Petar Janjatovic, "zum Guten, wie zum schlechten."

Belgrad im Sommer ’92 ist eine Stadt der Widersprüche. Während die Medien im Ausland das Bild der kriegslüsternen Serbien in immer schaurigeren Farben zeichnen, berichten serbische Oppositionspolitiker stolz, die jugoslawische Volksarmee habe Schwierigkeiten mehr als 20 Prozent der Belgrader Wehrpflichtigen zu mobilisieren.

Zur Front in Bosnien und Kroatien sind es keine 100 Kilometer. In Belgrad kaufen die Menschen dennoch wie gewohnt ein, trinken Kaffee, gehen essen oder tanzen. Belgrad wirkt wie eine ganz normale Großstadt. Dass von hier aus der blutigste Krieg seit Vietnam gesteuert wird – der Besucher mag’s kaum glauben.

Doch auch wenn die Kämpfe die serbische Metropole bisher nicht erreichten, fordern sie von fast jeder Familie Opfer. Flüchtende Verwandte werden aufgenommen, Söhne, Brüder, Onkel oder Neffen müssen an die Front. "Man kann nicht ewig in ständiger Hochspannung leben", gibt Janjatovic zu bedenken, "und wir leben schon seit einem Jahr in diesem Zustand."

Im Juni 1991 hatte die jugoslawische Volksarmee versucht, eine Abspaltung Sloweniens mit Waffenstillstand zu verhindern. Seitdem herrscht Krieg – und vieles spricht dafür, dass die Gewalt auch bald Belgrad erreichen wird.

Gelegentlich kommt es hier schon zu kleinen Ausbrüchen: Während des Konzerts für den Frieden am 22. April warf ein serbischer Nationalist eine Tränengasgranate unter die Bühne. Die Band Rimtuti Tuki spielte trotz Atemnot weiter und vermied so eine drohende Panik im Publikum. "Sie haben einfach weitergemacht, bis sich die Schwaden verzogen hatten", sagt Janjatovic.

Rimtuti Tuki ist das Projekt verschiedener Musiker sehr unterschiedlicher Couleur. Im Frühjahr gründeten Mitglieder der Hard-Rock-Gruppe Partibrejkers und der New-Wave-Kapellen Elektricni Ogazam und Ekaterina Velika eine gemeinsame Band gegen den Krieg. Der Name ist ein Wortspielt. Stellt man die Buchstaben um, ergibt sich "Turim ti Kitu" – "Ich ficke dich". "Wir sind hier gerne direkt", meint Cane, Sänger der Partibrejkers, zur Erklärung.

Die Geschichte der Allstar-Band mit dem geradlinigen Namen ist bewegt wie vieles derzeit hier in Belgrad. Der 28jährige Cane und der sechs Jahre ältere Gitarrist Milan Mladenovic erzählen vom Lastwagen mit dem sie durch Belgrad fuhren und immer wieder ihren Song "Mir, Brate, Mir" - "Friede, Bruder, Friede" - spielten. "Die Leute sind uns hinterhergelaufen, haben mitgesungen..."

Die Mienen der beiden, starr bisher, solange sich das Gespräch um das Thema Krieg drehte, entspannen sich erstmals. Nach dem Erfolg der Lkw-Aktion, erzählen sie, nahm "B 92", die einzige unabhängige Radiostation Belgrads, eine Single ihres Friedenssongs auf. Jetzt hören die Belgrader mehrmals täglich das Stück mit der simplen Aufforderung, das Schießen sein zu lassen. Bei den Kids scheint der ziemlich direkte Appell - "Schießt weniger, bumst mehr" - anzukommen. Sie pfeifen jedenfalls das Lied in den Straßen, Bussen und Straßenbahnen Belgrads.

"Jede der Bands, aus der sich Rimtuti Tuki zusammensetzt, verkaufte auf Anhieb 40 000 bis 50 000 Platten", erklärt Cane. "Wenn man weiß, dass die Gesamtbevölkerung hier nur neun Millionen Menschen zählt, heißt das, dass die Bands ziemlich populär sein müssen. Eine gemeinsame Aktion dieser Prominenten erregt also ziemliches Aufsehen."

Dass die internationale Presse dennoch wenig Notiz von den Friedensbemühungen nimmt, ärgert die Musiker. Auch als Rimtuti Tuki im Juni ihre Single an alle eurpäischen Rundfunkstationen schickte, blieb die Resonanz mäßig. "Gespielt wurde sie kaum", bedauert Cane, "in Deutschland leider gar nicht."

Milan will deshalb am liebsten gar nicht über den Krieg sprechen. "Jeden Tag Krieg im Fernsehen, in der Zeitung, in Gesprächen, in Interviews...". Der Frust sitzt tief: Seine Band hatte, wie viele andere in Jugoslawien, seit langem auf die Probleme des Landes hingewiesen. "Wir haben die Wirtschaftskrise beschrieben", meint er resigniert, "und die Schicksale der Menschen, die mit 2 500 Prozent Inflation leben müssen." Er schlägt nervös mit der Hand auf den Tisch. "Hör dir unsere letzten Platten an, wir haben alles gesagt. Und was ist dabei herausgekommen?Ein Krieg und ein Wirtschaftsembargo!"

Milan, der Halbkroate und Kriegsgegner, muss mit ansehen, wie die Republik Serbien immer mehr an den internationalen Pranger gestellt wird. "Die Visumpflicht für Deutschland trifft nur genau die Deserteure und Flüchtlinge, also genau die Menschen, die gegen unser Regime sind", klagt er. Die Belgrader hätten kein Verständnis für das UNO-Embargo: "Sie fühlen sich durch ihre Regierung ausreichend bestraft."

Der 36jährige Petar Janjatovic, einst Mitarbeiter von "Jukebox", des ersten Magazins der jugoslawischen Rockszene, erklärt warum: "Schon seit Anfang der 80er Jahre gab es einen regen Austausch zwischen den Szenen der Teilrepubliken. Wir haben beispielsweise für Blätter wie 'Start' oder 'Polet' in Zagreb, Kroatien, genauso geschrieben wie für 'Student' in Belgrad. Etwa jedes dritte Wochenende fuhren wir zu Konzerten nach Zagreb. An den anderen Wochenenden waren die Leute von dort bei uns." Die jugoslawische Rockszene sei ausgesprochen transnational gewesen: "Bei uns zählte, wie gut man sein Instrument beherrscht, nicht, woher man kam."

"Rockmusik stand hier immer in Konkurrenz zu den nationalen Volksmusiken", berichtet Cane, "und deshalb haben wir auch viel zu spät erkannt, wie weit die Saat des Hasses gediehen war".

Er fühlt sich "wie auf einem anderen Planeten", wenn die Fernsehnachrichten die Bilder aus dem zerstörten Sarajewo zeigen. Was steckt hinter diesem Gemetzel, wenn es nicht einfach "die Serben" sind?

Für Milan ist der Bürgerkrieg ein Konflikt zwischen Stadt und Land in Serbien. "Die Menschen auf dem Land hören keine Rockmusik, lesen keine Zeitung und lassen sich von ihrer exkommunistischen Bürokratie weiter gängeln. Das macht sie anfällig für Nationalismus".

Eine Rockszene gibt es nur in den Städten, ihre Mitglieder standen in mehr oder minder offener Opposition zum System. "Bis die Leute auf den Dörfern aufwachen, können wir nicht warten, wenn wir keine Verhältnisse wie in Kroatien wollen", fordert Milan.

Doch Milan und Cane wissen natürlich, dass die Dinge auf der anderen Seite der Front anders liegen. "Zagreb ist bombardiert worden, die Leute mussten wochenlang mehrmals am Tag in die Bunker", sagt Milan. Wieder schlägt er nervös mit der Hand auf den Tisch. "Im Krieg wird es irgendwann unmöglich, keine Position zu beziehen. Und ich Kroatien gibt es nur pro und kontra".

Nicht alle Belgrader haben so viel Verständnis für die Lage der Menschen in den Kriegsgebieten. In Petar Janjatovics Studio B92, dem unabhängigen Fernsehsenders Belgrads, rufen Zuschauer an, die an der Front waren. "Sie fragen mich, ob ich sie für Idioten halte", erzählt er, "und warum ich noch immer die Videoclips der ’kroatischen Faschistenbands’ spiele". Die "Faschisten" sind alte Freunde von Petar. Er antwortet den Anrufern, dass es ohne kroatische Gruppen wie Azra, KUD, Idioti oder Film keine jugoslawische Rockmusik gäbe. Und wenn die Frage kommt, warum keine kroatische Station mehr serbische Bands spielt, kontert er: "Wir müssen nicht alle Fehler der anderen Seite wiederholen".

Die Crew von Radio B92 denkt ähnlich. Sie haben überlegt, wie schnell es zu einem kulturellen Austausch kommen könnte. Ein Bus voller Musiker, Schauspieler und Journalisten aus Belgrad soll nach Ljubljana in der Teilrepublik Slowenien fahren und dort die abgebrochenen Kontakte wieder aufnehmen. Kein einfaches Unterfangen – was für Slowenien schwierig erscheint, ist für Kroatien und Bosnien undenkbar. Ein Drittel der beiden Republiken ist vom Krieg verwüstet, gut eine Million Menschen sind auf der Flucht.

Dennoch stehen nicht alle Musiker in Belgrad offen gegen die Regierung Milosevic. Gerade in der Pop- und Schlagerszene gibt es viele Künstler, die keine Stellung beziehen wollen. Superstars der 70er Jahre wie Sänger Bajaga äußern sich nicht zu politischen Themen, schreiben weiter Balladen über Liebe, Leben, Leute, ganz so, als hätte sich nichts geändert.

Bora Djordjevic, Sänger der Rockband Riblija Corba (Fischgräte), trat vor zwei Jahren in T-Shirts mit nationalistischen Parolen auf. "Damals war Bora Corba offen für Milosevic", grollt Petar Janjatovic. "Vor einem Jahr machte er dann Werbung für die Opposition. Wer weiß was er sich als nächstes ausdenkt".

Der Krieg rückt immer näher an Belgrad heran. Benzin wird rationiert, Lebensmittelpreise steigen in schwindelnde Höhen, währen Immobilien wertlos sind. Die Guthaben in ausländischer Währung, wurden vom serbischen Staat eingefroren. Für Serben, Bosnier und Montenegriner besteht nach 40 Jahren Reisefreiheit im Kommunismus plötzlich Visumpflicht für Reisen in die halbe Welt. Was können Rockmusiker da schon tun?

In dieser düsteren Gegenwart flüchten sich viele in die Erinnerungen an bessere Tage. Srdan Saper, ehemaliger Sänger und Keyboarder der Belgrader New Wave-Kultband "Idoli" siniert: "Ende der 70er Jahre waren wir ein paar musizierende Studenten mit dem Motto: ’Noise is for heroes, music is for zeroes’". Seine Band wurde 1984 vom britischen Trend-Musikblatt "New Musical Express" zu "einer der vier größten Hoffnungen der europäischen Rockmusik" ernannt. "Innerhalb weniger Monate waren wir Superstars, spielten vor Tausenden von Leuten und verdienten einen Haufen Geld".

Idoli drehten Filme, schrieben Soundtracks und einen Hit nach dem anderen. Die Band tourte durch Jugoslawien, Polen, die Tschechoslowakei, Frankreich und England. Für einen Moment dachte der 33jährige Saper, "alles sei möglich, wenn ich es nur will".

So wie Saper hatten viele Musiker…. Zeit an eine rosige Zukunft geglaubt. Irgendetwas hatte sich zwischen 1978 und 1984 bewegt im Staate des Gründers und Alleinherrschers Josip Nroz, genannt "Tito". Den Nachfolgern des Diktators gelang es immer weniger, die rebellische Jugend des Landes bei der roten Fahne zu halten. Überall gründeten sic Punkbands, die von den Parteioberen "westlich" und "dekadent" geschimpft wurden. Stoppen konnten die alten Herrschaften die Sache allerdings nicht: Die "Nova Tazla", die neue Welle, rollte unaufhaltsam.

"Nach Titos Tod 1980 war das hier eine Art utopisches Paradies", sinniert Saper. Die Partei versuchte die Krise, die für alle Bürger des Landes immer deutlicher sichtbar wurde, unter anderem durch eine großzügige Kulturpolitik zu kompensieren.

Zunächst hatte diese Politik auch positive Seiten: Musiker, Bands, Videofilmer und Maler entwickelten in wenigen Jahren eine eigene Szene, eröffneten Konzerthallen, Discotheken und Jugendclubs. Geldprobleme waren lösbar, das Leben nicht unerträglich teuer. Die staatlichen Plattenfirmen interessierten sich plötzlich für Produktionen, die die Zuständigen kurz vorher nicht einmal angehört hatten. In den Metropolen erschienen kritische Zeitschriften. "Lange konnte das nicht gut gehen", erinnerte sich Saper, "aber wenigstens konnten sich viele Leute mit Musik beschäftigen".

Und heute? "Hier kann jeden Tag etwas passieren", fürchtet Srpan. "Entweder bricht der Bürgerkrieg zwischen den Anhängern und Gegnern Milosevics aus, oder die Kroaten greifen an".

Trotz dieser düsteren Aussichten wollen die Musiker die Hoffnung nicht aufgeben, dass dies nicht das Ende aller Dinge ist. "Die Welt ist nach dem Zusammenbruch des Kommunismus in Bewegung geraten", meint Srdan Saper. "Zwei Blöcke haben begonnen, sich zu bewegen, und wir sitzen in der Mitte. Vielleicht kommt ja was Gutes dabei heraus".

Wir können nicht erwarten, dass ein Song die Leute ändert", glaub auch Mila. >Aber wir können beweisen, dass nicht alle Serben für Milosevic sind – und damit für den Krieg".

"Unter dem Helm gibt es kein Gehirn!"

Mit pointierten Protestballaden von einer lyrischen Kraft, wie sie seit dem Vietnamkrieg nicht mehr zu sehn waren, gehen serbische Rockmusiker gegen ihre eigene Regierung vor. Der derzeit populärste Song "Mir, Brate, Mir" (Friede, Bruder, Friede) stammt von der Gruppe Rimtuti Tuki. Eine Kostprobe: Frieden ist ein schönes Mädchen, das nicht jeder haben kann. Wenn ich nicht fliegen kann, will ich auch nicht kriechen, denn wenn ich nicht fliege, kann ich nicht mit ihr schlafen. Ich mag dich lieber jung als alt, will nicht, dass sie dir ein Gewehr geben. Ihr verdreckten Kämpfer-Typen schießt weniger, bumst mehr! Du bist zu jung, um zu krepieren. Unter dem Helm gibt es kein Gehirn.

"Wir Intellektuellen dachten immer, die Rockmusiker wären unpolitisch"

Interview mit dem Vorsitzenden des Belgrader Zentrums für Antikriegsaktionen, Stojan Cerovic*

*Stojan Cerovic, 42, spielt als Vorsitzender des Zentrums für Antikriegsaktionen eine wichtige Rolle im serbischen Widerstand. Der studierte Psychologe arbeitet in Belgrad als Redakteur des Nachrichtenmagazins "Vreme" und gibt die kritische Stadtzeitung "Pacifik" heraus.

Frage: Wie kam es zur Zusammenarbeit zwischen Rockmusikern und oppositionellen Intellektuellen?

Für uns vom "Zentrum für Antikriegsaktionen" war das eine ganz neue Sache. Die meisten unserer Mitarbeiter kommen aus der Uni-Szene und hatten bisher nicht allzu viel mit Rockmusik zu tun. Auf Demonstrationen der Friedensbewegung hatten wir lange gar keine Musik, oder höchstens mal Songs wie "Give Peace A Chance" von Cassette. Einer meiner Freunde, Obrat Savic, hatte die Idee Bands einzuladen. Er steht privat auf Rock’n’Roll und fragte einfach ein paar Musiker, die er zufällig in der Stadt traf, ob sie für uns spielen würden.

Waren die Bands sofort dazu bereit?

Nein, sie stellten Bedingungen. Am wichtigsten war den Rockern, dass es keine Werbung für irgendwelche Parteien auf ihren Konzerten geben sollte. Sie wollen keiner Partei zugerechnet werden, wahrscheinlich fürchten sie, sonst Teile ihres Publikums zu verlieren. Schließlich sich das sehr bekannte Bands.

War das der einzige Grund für die Zurückhaltung?

Jeder hat hier schon die Erfahrung gemacht, wie sehr Politiker das Volk manipulieren. Insofern sind die Befürchtungen dieser jungen städtischen Rocker absolut gerechtfertigt. Aber wichtiger ist doch, dass wir herausgefunden haben, dass wir ähnliche Ideale und Ideen haben.

Hat sich die Einstellung der politischen Opposition zur Rockmusik durch die Zusammenarbeit geändert?

Wir Intellektuellen dachten immer, die Rockmusiker wären unpolitisch. Wir waren also sehr überrascht über ihre Aktionen und über ihr organisatorisches Know-how. Ich hoffe sehr, dass diese Zusammenarbeit weitergeht.

Welche gemeinsamen Aktionen plant ihr gerade?

Wir arbeiten gerade an einem Konzert für mehr als 100 000 Menschen auf einer Insel in der Sava. Dort sollen dann erstmals alle wichtigen serbischen Bands am selben Ort auftreten, das werden etwa 10 bis 15 Gruppen sein.

 

Musik im Krieg

 

ZOUNDS-Autor Rüdiger Rossig über den Alltag in Belgrad im Sommer 1992

Das Belgrad, das ich auch meinen Besuchen vor dem Bürgerkrieg, war eine farbenfrohe Stadt, malerisch gelegen an der Mündung der Sava in die Donau. Alles andere jedenfalls, als das Einheitsgrau andere Ost-Metropolen.

Dass ich diesmal den Zug nach Belgrad – wegen der UNO-Sanktionen gab es keine Flugverbindung mehr in die Hauptstadt Rest-Jugoslawiens – mit einem mehr als mulmigen Gefühl bestieg, hatte auch etwas damit zu tun, dass ich Angst hatte, zu erleben, wie der Bürgerkrieg eine vitale Stadt und seine Bewohner verändern kann. Wie würde der Empfang sein für unser Team – Übersetzerin Ana Prokic aus Berlin und mich?

Eine Vorort-Recherche in der Hauptstadt Serbiens mitten im Bürgerkriegs-Sommer '92, das mutet zunächst mal an wie ein Himmelfahrtskommando. Wir hatten uns jedenfalls auf das Schlimmste gefasst gemacht: auf Kriegstreiber und machtgeile Altkommunisten.

Das uns ich Belgrad nicht nur Betonköpfe erwarten würden, wussten wir allerdings schon vorher. Viele meiner Freunde aus dem ehemaligen Jugoslawien sind vor ihrer Regierung und der Pflicht, in einer sogenannten jugoslawischen Volksarmee eine Krieg führen zu müssen, der nicht der ihre ist, nach Deutschland geflohen. Dafür müssen sie sich, Serben wie Kroaten, Moslems wie Kosovo-Albaner, hierzulande als "Scheinasylanten" oder "Wirtschaftsflüchtlinge" beschimpfen lassen.

Unter ihnen sind viele Musiker, von denen die Idee stammte, das Bild jener anderen Serben zu vermitteln, die mit Mut und Ausdauer versuchen, das Ruder zu wenden und ein Ende des sinnlosen Mordens auf dem Balkan zu erkämpfen. Dass sie sich dazu des Mediums Rockmusik bedienen, mag als zeithistorisch Kurosium erscheinen – logisch ist es allemal. Wie sonst sollte sich Protest artikulieren in einem Land, in dem die gleichgeschalteten staatlichen Fernsehsender immer nur Siegesmeldungen ausstrahlen?

Die Gefahren eines Belgrad-Besuchs gerade für einen deutschen Journalisten hatte ich, wie alle in der ZOUNDS-Redaktion, wohl überschätzt. Es mag zwar zutreffen, dass sich die serbischen Propaganda-Geschütze auf die Deutschen eingeschossen haben – in der Belgrader Bevölkerung ist von Deutschenhass jedoch nichts zu spüren.

Stattdessen traf ich überall freundliche, hilfsbereite und aufgeschlossene Menschen – genau so, wie ich sie bei vielen Jugoslawienbesuchen vor dem grausamen Bürgerkrieg kennen- und schätzen gelernt hatte.

Die meisten Belgrader sprechen englisch oder deutsch. Die Taxifahrer, die mich zu meinen Interviewpartnern brachten, die Hausmeister in den Redaktionen, meine Gastgeber, Kellner und alle Belgrader, die ich in den Straßen der Stadt traf, hatten vor allem eine Sorge: dass sie für die Untaten ihrer politischen Führung verantwortlich gemacht werden könnten.

Tatsache ist, dass Belgrad Hauptstadt eines Landes ist, dessen "Volksarmee" gegen den Willen der Mehrheit der Bürger einen Vernichtungskrieg gegen zwei Nachbarländer – Bosnien-Herzegowina und Kroatien – führt; ein Land, das international isoliert und dessen Bürger von aller Welt zu Mitschuldigen erklärt werden.

Das Leben der Belgrader wird seit Verhängung der UNO-Sanktionen von Tag zu Tag härter. Die monatliche Benzinration für Autobesitzer beträgt 20 Liter – die Panzer der Volksarmee haben Vorfahrt. Und natürlich kann "PGP", die größte serbische Plattenfirma, derzeit keine Platten herstellen: Die Armee hat allen verfügbaren Kunststoff beschlagnahmt.

Ohne Platten kann man leben – ohne Musik nicht. Vor allem dann nicht, wenn diese Musik die einzige Möglichkeit darstellt, seinen Protest hinauszuschreien. Bleibt nur zu hoffen, dass dieser Schrei der Menschen in Serbien gegen ein Regime, das in ihrem Namen Verbrechen gegen die Menschheit begeht, bei uns und anderswo gehört wird.

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Bilduntertitel S.20: Friedensmobil: Die Mitglieder von Rimtuti Tuki tragen ihre Protestsongs im offenen Lkw durch die Straßen von Belgrad. "Die Leute laufen hinterher und singen mit", sagen sie.

Bilduntertitel S.20: Volkes Stimme: Massendemos zeugen den Unmut der Belgrader über die Kriegstreiber an der Spitze ihres Staates. "Für alle Gefallenen des Krieges", lautet die Aufschrift des Protestbanners.

Bilduntertitel S.21: Volle Deckung: Die Mitglieder von Rimtuti Tuki haben unter der Bühne Schutz gesucht. Immer wieder stören regierungstreue Gegendemonstrationen die Protest-Konzerte. Offene Ohren finden die Musiker dagegen vor allem bei jungen Belgradern. Für sie ist Rockmusik das wichtigste Sprachrohr gegen die offizielle Regierungspolitik ihres Landes.

Bilduntertitel S.22: Ohne mich: "Zählt nicht auf uns" lautet die friedliche Parole auf Luftballons und Transparenten. Bekannte Rockmusiker wie Sänger Rambo Amadeus oder Keyboarderin Magita Stefanovic von der Gruppe Ekaterina Velika zählen auch zu den prominentesten Vertretern der Belgrader Friedensbewegung.

Bilduntertitel S. 23: Trommeln für den Frieden: Zehntausende jubeln, wenn Leute wie Cavke von Ekaterina Velika gegen die Regierung anmusizieren. In Westeuropa sind die neuen Töne aus Belgrad kaum zu hören: Kein Rundfunksender spielt ihre Stücke.

Bilderuntertitel S.24: Leichentuch: 200 Meter lang war die schwarze Stoffbahn, die Anhänger der serbischen Friedensbewegung in diesem Sommer durch die Straßen Belgrads trugen – ausnahmsweise mal ein stummer Protest in einer Szene, die sonst mit Rockklängen bestimmt ist.