Aber immerhin: die vorerst 1600 Polizisten, Richter und Verwaltungsexperten sollen die ehemals serbische Provinz beim Aufbau rechtsstaatlicher Strukturen beraten. Und damit wird die „European Union Rule of Law Mission in Kosovo“ auch genug zu tun haben.
Denn das seit Februar diesen Jahres unabhängige 10.000-Quadratkilometer-Gebiet ist bisher nur auf dem Papier eines Staat. In der Realität ist das seit Ende des Krieges 1999 von den Vereinten Nationen verwaltete Kosovo vor allem ein Schmugglerparadies. Und das Armenhaus Europas.
Die Mehrheit der 2,1 Millionen Kosovaren lebt von Almosen. Die wenigen Arbeitsplätze hängen am Tropf der internationalen Verwaltung. Ein Boom herrscht allenfalls beim nicht genehmigten Hausbau oder beim Handel mit illegal eingeführtem Benzin.
Zudem sind die Löhne der einheimischen Wirtschaft viel zu niedrig - und die der ausländischen Organisationen viel zu hoch. Ein Milieu, in dem Korruption und Kriminalität prächtig gedeihen. Die neue EU-Mission EULEX setzt also durchaus an der richtigen Stelle an. Aber sie reicht nicht aus.
Wie viele der zukünftig 1900 EULEX-Berater waren sie schon einmal in der Region, die sie reformieren helfen sollen? Interessieren sie sich schon länger für Ex-Jugoslawien? Sprechen sie oder mehrere Kosovo-Sprachen wie Albanisch, Serbisch, Türkisch oder Romanes?
Fragen wie diese wurden beim EULEX-Start nicht gestellt. Das Thema kam nicht in den Nachrichten vor. Überhaupt war Kosovo dieses Jahr exakt zweimal in den Schlagzeilen: Wegen Unruhen nach der Unabhängigkeitserklärung und ein paar verhafteten BND-Agenten.
Seitdem dort nicht mehr geschossen wird, ist Balkan als Thema out. Dabei gehört Ex-Jugoslawien ständig ins Zentrum des europäischen Interesses. Und Kosovo erst recht. Immerhin ist EULEX die größte Mission in der Geschichte des vereinten Europa. Und die Herstellung von Stabilität und Wohlstand in Südosteuropa ist erklärtermaßen Kernziel der EU.
Wenn beim Thema Balkan trotzdem Widerwillen aufkommt, dann liegt das daran, das die dortigen Probleme unlösbar erscheinen. Seit den Jugoslawien-Kriegen dominiert die ach so komplizierte Geschichte Südosteuropas die Diskussionen.
Wie soll mit einem Staat Serbien umgegangen werden, der mit dem Kosovo Anspruch auf ein Territorium erhebt, weil dort vor 600 Jahren Menschen gelebt haben, die sich Serben nannten? Die Frage zeigt, wie wenig uns Europäern unsere eigene Geschichte präsent ist.
Die Zeiten, in denen Elsass-Lothringens Zugehörigkeit zu Frankreich in Deutschland als nationale Schmach empfunden wurden, sind noch nicht lange vorbei. Dass Pommern und Schlesien zu Polen gehören, erregt bis heute regelmäßig die Gemüter - dies- und jenseits der Oder.
Wenn wir wollen verstehen wir die Problem des Balkans nur allzu gut. Es sind unsere. Mit einem Unterschied: Im Kosovo und anderswo in Ex-Jugoslawien haben nach wie vor Leute das Sagen, die direkt in die Kriege der Neunziger Jahre verwickelt waren.
Wie schnell hätte sich Westdeutschland zu einem friedlichen, demokratischen Wirtschaftswunderland entwickelt, wenn die Alliierten 1946 freie Wahlen organisiert hätte - ohne Entnazifizierung und mit Kandidaten der NSDAP? Wenn in den Schulen weiterhin der Sedanstag begannen worden wären: Als großer Sieg über den französischen Erzfeind?
Natürlich ist zu hoffen, dass die neue EU-Rechtsstaatsmission EULEX erfolgreich ist. Aber Frieden, Wohlstand und Demokratie wird es im Kosovo so lange nicht geben, bis dort wieder normale, zivile, europäische Zustände eingetreten sind.
Um Kosovo nachhaltig zu befrieden, braucht es mehr als EU-Berater. Vor allem muss die Wirtschaft auf die Beine kommen, damit der sich Lebensstandard endlich und für die Menschen sichtbar in Richtung EU-Niveau bewegt. Erst dann wird die von Kriegshelden und Kriegsgewinnlern eingeschüchterte Bevölkerung beginnen, sich politisch einzumischen.
Neben der Verwaltung müssen Schul-, Universitäts- und Medienlandschaft reformiert werden. Und: Die Visa-Schranken nach Europa müssen fallen. Die Kosovaren sollen die Gelegenheit erhalten, sich das ganz normale Leben in der EU selbst anzusehen. Und den Willen zu entwickeln, so auch in ihrer Heimat zu leben.
EULEX kann nur eine Komponente in einer konzertierten Aktion sein. Sicher, das würde mehr kosten als ein paar EU-Berater. Aber allein wird EULEX scheitern - wie alle bisherigen Bemühungen auf dem Balkan.