Rüdiger Rossig | Journalist | Novinar

"Alle Künstler sind Diebe"

Goran Bregovic über seinen Werdegang vom Rockstar zum Weltmusiker, sein neues Album „Alkohol“ – und was er am Sound von spuckenden Zigeunern schätzt | Interview: Rüdiger Rossig

Herr Bregovic, Ihr neues Album heißt "Alkohol" und ist im serbischen Guca entstanden, wo Sie im vergangenen Jahr erstmals beim berühmtesten Blasmusikfestival der Welt aufgetreten sind. Warum der Titel?

Als ich mir nach meinem Auftritt die Fernsehaufnahmen davon ansah, merkte ich, dass ich echt ganz schön getrunken hatte. Ich habe auf der Bühne immer eine Flasche Jack Daniel's Whisky dabei und trinke daraus während des ganzen Konzerts normalerweise ein Glas. Aber in Guca war ich am Ende richtig voll. Ich verteile auf der Bühne auch immer Geld an meine Musiker - aber dort habe ich das gleich drei-, viermal getan, weil ich mich so gut gefühlt habe und alles so toll lief.

Wie erklärt sich die Auswahl der Songs? Sie umspannen vier Jahrzehnte und spiegeln Ihre halbe musikalische Biografie.

Es ist so: Guca ist ein kleines Wunder. Es gibt dort keine Stars und keine Bühnen - alles findet in Zelten statt. Für Trinkgeld. Für Guca schien es mir irgendwie, wie soll ich sagen, unpassend, mein Profiprogramm abzuziehen. Also habe ich beschlossen, dass wir etwas spielen, was wir sonst nicht auf der Bühne spielen, sondern nur in der Garderobe. Das sind vor allem meine alten Lieder und ein paar traditionelle Sachen.

Fast alle Stücke auf "Alkohol" sind, wenngleich in anderen Versionen, schon einmal auf Platte erschienen. Betreiben Sie "Versioning", so wie die jamaikanischen Reggaemusiker?

Wir machen doch alle das ganze Leben lang im Grunde das Gleiche. Nichts auf dieser Welt ändert sich, und es wird auch nichts Neues geschaffen. Was sich ändert, sind nur die Formen.

Sie selbst haben sich doch im Laufe Ihres Lebens ganz neu erfunden. Einst zählten Sie mit der Band Bijelo Dugme (Weißer Knopf) zu den größten Rockstars Jugoslawiens, später wandten Sie sich der Folklore des Balkans zu. Warum?

Wenn man den Rock 'n' Roll aus der kommunistischen Zeit betrachtet, dann merkt man, dass die Musik meist nicht besonders gut war. Sie hatte ihre gesellschaftliche Bedeutung, weil die Rocker die Dinge klarer beim Namen genannt haben als irgendwer sonst. Aber von ihrer Musik wird nicht viel übrig bleiben. Übrig bleibt, was du von deinem Großvater, Urgroßvater und Ururgroßvater übernommen hast.

Das klingt konservativ.

Es gibt nur wenige Schriftsteller, die in einer fremden Sprachen schreiben, und auch in der Musik ist das schwer. Ich jedenfalls kenne niemanden, der in der Musik außerhalb seines kulturellen Codes etwas Ernsthaftes geschaffen hat. Auch bei Bijelo Dugme war alles, das etwas taugte, von regionaler Folklore beeinflusst.

Im Sommer 2005 gab es ein Revival von Bijelo Dugme mit Konzerten vor 300.000 Zuschauern in Sarajevo, Zagreb und Belgrad. Seitdem sind die drei Exsänger der Band ständig auf Tour - ohne Sie. Wird es ein weiteres Revival geben?

Nein. Das hat mich nur für diese drei Konzerte interessiert.

Was ist denn anders, wenn Sie heute mit einem Romaorchester um die Welt reisen?

Zum Beispiel gebe ich mittlerweile wirklich gerne Interviews, weil ich nicht mehr mit so vielen Idioten reden muss. In Jugoslawien haben sich nicht viele intelligente Leute mit Rockmusik beschäftigt, die meisten waren Analphabeten.

Die Folklore des Balkans ist stark von Roma geprägt. Seit wann interessieren Sie sich für diese Kultur?

Schon immer. Als ich das erste Geld, das ich mit meiner Musik verdient habe, nach Hause brachte, meinte mein Vater, der ein Oberst in der jugoslawischen Volksarmee war, zu mir: Du wirst doch nicht mit diesem Zigeunergeschäft anfangen?! So sagt man bei uns, wenn du in Kneipen Volkslieder spielst: Zigeunergeschäfte. Ich mache diese Zigeunergeschäfte im Grunde schon, seit ich fünfzehn bin.

Manche Kritiker werfen Ihnen vor, die Roma-Kultur auszubeuten. Was antworten Sie denen?

Dass Kunst überhaupt ein sehr unmoralisches Geschäft ist. Alle Künstler stehlen. Aber sie sind wie Robin Hood: Sie geben anderen etwas, wovon diese sich wieder bedienen. Vor Kurzem fand in Paris eine große Picasso-Ausstellung statt. Dort wurden seine Bilder gezeigt - und Vorbilder, die ihn direkt beeinflusst haben. Die Parallelen waren augenfällig.

Vor allem die Blaskapellen vom Balkan haben es Ihnen angetan. Warum gerade die?

Weil diese Blasmusik die letzte wirklich lebendige Musik dieser Art ist. Und wissen Sie, warum? Weil die Musiker beim Spielen ständig spucken. Und man kann nicht im Restaurant essen, wenn man von spuckenden Zigeunern umgeben ist. Alles andere ist längst zu Restaurantmusik geworden. Nur die Blasmusik nicht.

Sie haben in den letzten Jahren vor allem mit Stars aus Ihrer Region gearbeitet. Warum?

Wenn du mit jemandem wie Saban Bajramovic, dem kürzlich verstorbenen König der Zigeunermusik, arbeitest, dann merkst du, dass du es mit einem genau so talentierten Typen zu tun hast wie mit Iggy Pop. Nur dass bei uns auf dem Balkan die talentiertesten Typen nicht in großen Hallen spielen, sondern auf Hochzeiten. Und wenn du mit einer Pop-Sängerin wie Sezen Aksu arbeitest, dann stehen dir die besten Musiker Istanbuls zur Verfügung. Mit Giorgos Dalaras ist es in Griechenland ebenso, und mit der Sängerin Kaya kamen diese wunderbaren Sänger aus den Bergen von Zakopane in Polen. Letztlich habe ich diese Platten aber nur gemacht, um Zugang zu den besten Musikern der Region zu haben. Ansonsten produziere ich nicht gerne Musik, das ist nicht mein Beruf.

Für den Regisseur Emir Kusturica haben Sie Ihre ersten Soundtracks geschrieben, einst waren Sie auch privat eng befreundet. Was halten Sie davon, dass er sich serbisch-orthodox taufen ließ und seinen muslimischen Vornamen gegen den serbischen Namen "Nemanja" getauscht hat?

Wissen Sie, die Leute erwarten von einem guten Künstler, dass er auch ein guter Mensch ist. Aber dazu ist ein Künstler nicht verpflichtet. Auf der anderen Seite muss man sehen, dass es aus unserer ganzen Region kaum zwei, drei Namen gibt, die weltbekannt sind. Und einer davon ist und bleibt Kusturica.

taz, die tageszeitung