Die blaue Donau, auch "das achte Meer Europas" genannt, gleicht im Sommer 2022 vielerorts wie viele andere europäische Flüsse einem Rinnsaal. Schon im Ursprungsland Deutschland führt der knapp 2900 Kilometer lange Strom viel zu wenig Wasser. Erste Kreuzfahrten mussten abgesagt werden, bei anderen wurde die Route geändert. Um einem Fischsterben wie in der Oder vorzubeugen, haben lokale Behörden angekündigt, Baggerarbeiten und andere Maßnahmen, die die ökologische Situation im Fluss verschlechtern könnten, gegebenenfalls zu verbieten.
Die beiden folgenden Donau-Arainerstaaten Österreich und Slowakei stehen vor ähnlichen Maßnahmen. Dort bitten Gemeinden ihre Bewohner seit Wochen darum, ihre Swimming-Pools nicht mehr zu befüllen und die Rasen nicht mehr zu sprenkeln, damit genug Wasser für die Grundversorgung der Bevölkerung und die Landwirtschaft übrigbleibt.
Seit dem vergangenen Wochenende (20./21.08.2022) haben starke Gewitter die Lage in Ungarn leicht entspannt. Nachdem der "Armenfelsen", ein normalerweise unter Wasser liegender Stein in der Nähe der Freiheitsbrücke in der Hauptstadt Budapest, am Mittwoch (17.08.) bei einem Pegelstand von 63 Zentimetern fast vollständig zu sehen war, verschwand er am Montag (22.8.) bei 92 Zentimetern wieder fast ganz unter dem Flusswasser.
In normalen Sommern liegt Ende August eine lange Schlange von Kreuzfahrtschiffen am Budapester Donauufer. In den vergangenen Wochen hatten dort aber nur ein paar kleinere Hotelboote festgemacht, die wegen des Niedrigwassers nicht weiterfahren konnten.
"Für die meisten Kreuzfahrtschiffe ist der ungarische Teil der Donau auch jetzt noch nicht befahrbar", sagt Tünde Mogyorosi von der Reiseagentur Cityrama der DW. "Viele Fahrten mussten schon abgebrochen werden, weil die Boote irgendwo vor Budapest im Fluss feststecken. Wir schicken Busse dorthin, um den Gästen zumindest eine Stadtbesichtigung zu ermöglichen." Auch die Binnenschifffahrt funktioniert nur eingeschränkt.
Ausreichend Donauwasser ist zudem wichtig für Ungarns Energieversorgung - es kühlt sowohl die konventionellen Kraftwerke als auch das einzige Atomkraftwerk des Landes. Aufgrund der erhöhten Wassertemperatur konnten die Reaktoren des AKW Paks vergangene Woche nicht mit voller Kapazität arbeiten. Ein Energieverlust von bis zu etwa 15 Prozent pro Reaktor ist in heißen Sommern nicht ungewöhnlich - aber Atomstrom ist in Ungarn derzeit im Vergleich zu allen anderen Energiequellen sehr billig, denn die Preise für importiertes Gas und Öl schießen wegen Russlands Krieg in der Ukraine und der schwächelnden ungarischen Währung Forint in den Himmel.
Vor allem aber erlebt das Ökosystem Donau im Sommer 2022 schwierige Tage. Immerhin ist es bisher nicht zu einem Massensterben von Flusslebewesen gekommen; zwar waren am 4.08.2022 hunderte tote Fische in einem Donau-Nebenarm aufgefunden worden, aber die Situation konnte dank einer Schleuse, von der aus mehr Wasser aus dem Hauptfluss in den Nebenarm gepumpt wurde, entspannt werden.
Das ist in kleineren Flüssen und Seen Ungarns nicht möglich. Im selbst in gefülltem Zustand nur drei Meter tiefem Velencer See etwa hat sich nach über drei Wochen Niedrigwasser ein Virus ausgebreitet, der bisher über 200 Welse getötet hat.
In Serbien erinnern die Ufer der Donau im Sommer 2022 an endlose Sandstrände. Der Wasserstand des Flusses ist derzeit bis zu fünfzig Prozent niedriger als im Augustdurchschnitt. Einen der mächtigsten europäischen Flüsse zu durchschwimmen, ist derzeit ein Kinderspiel. An manchen Stellen kann man sogar zu Fuß von der einen zur anderen Seite gehen.
"2022 ist eines der zehn trockensten Jahre seit Beginn der Aufzeichnung", sagt Jelena Jerinic vom Hydrometeorologischen Institut Serbiens (RHMZ) der DW. "Bei Zemun zum Beispiel liegt der Wasserstand der Donau seit Tagen unter dem schiffbaren Pegel von 190 Zentimetern - aber immer noch weit über dem niedrigsten historischen Wert von 1983, der bei 134 Zentimetern lag."
Dafür, dass die Donau in Serbien überhaupt noch schiffbar ist, sorgen Bagger, die das Flussbett in kritischen Abschnitten vertiefen. "So gewährleisten wir die Kohleversorgung unserer Kraftwerke", erklärt Veljko Kovacevic, stellvertretender Minister für Wassertransport, der DW. "Aber im stromabwärts gelegenen Teil der Donau haben wir ernste Probleme bei der Versorgung mit Rohöl, Diesel und anderen Ölderivaten, denn dort fährt schon seit drei Wochen kein Schiff mehr."
Der niedrige Wasserstand verursachte enorme Probleme bei der Stromerzeugung. Im Wasserkraftwerk Djerdap, das etwa zwanzig Prozent des Stroms in Serbien erzeugt, arbeitet man derzeit am sogenannten biologischen Mindestregime. Dabei werden nur minimale Mengen von Wasser gebraucht - aber auch nur minimale Mengen von Strom produziert.
"Im Juli und August hatten wir im Vergleich zu einem durchschnittlichen Jahr nur die Hälfte an Wasserzufluss", erklärt Radmilo Nikolic, Djerdap-Direktor für Energieerzeugung der DW. "Folglich war die Produktion im August 2022 auch um etwa fünfzig Prozent niedriger als in anderen Jahren." Nikolic erwartet, dass sein Kraftwerk in den kommenden Tagen täglich 6000 Megawattstunden Strom liefern kann. "Normal wären in dieser Jahreszeit 8500 bis 9000."
Immerhin lässt die Wettervorhersage hoffen: Das Hydrometeorologische Institut Serbiens erwartet, dass sich der Wasserstand der Donau Anfang September 2022 stabilisieren wird. "Aber wir werden uns an Extreme gewöhnen müssen - sowohl sehr hohe als auch sehr niedrige Wasserstände", warnt Jelena Jerinic. "Wir werden lernen müssen, damit zu leben und, wenn die Regenzeit kommt, das Wasser zu sammeln und zu speichern, anstatt es wie bisher zu verschwenden."
"Man muss kein Experte sein, um zu sehen, wie niedrig der Pegel der Donau ist", sagt Kapitän Rossen Nikolow. "Vom Kai aus kann man die Steine auf dem Grund sehen, der Fluss ist zurückgegangen, er hat sich von den Menschen entfernt." Bei Vidin, am Beginn des bulgarischen Teils der Donau, warten viele Lastkähne darauf, dass der Pegel steigt, damit sie weiterhin Güter transportieren können. Im Moment können sie nur zu 30-40 Prozent ausgelastet fahren, was für die Unternehmen nicht rentabel ist.
Die Umweltschutzorganisation World Wide Fund For Nature (WWF) weist darauf hin, dass das derzeitige Niedrigwasser nicht ungewöhnlich für die Jahreszeit ist. Das Problem sei, dass sich dieser Trend in den vergangenen Jahrzehnten immer weiter verstärkt hat. Hauptgründe sieht der WWF im globalen Klimawandel, der immer stärkeren Abholzung des Flussgebiets und dem Bau von Hunderten von Mini-Wasserkraftwerken an vielen südosteuropäischen Flüssen, deren Wasser letztlich die Donau speist.
Zwischen Rumänien und Bulgarien hat die Donau ein besonderes Problem: Der Fluss wurde nicht wie in Serbien oder Österreich durch Schleusen und Dämme gezähmt. Der Donauexperte Georgi Georgiew weist darauf hin, dass ein System von Staustufen gebaut werden muss, wenn der Flusspegel kontrolliert und damit die Schiffbarkeit deutlich verbessert werden soll.
Der derzeitige niedrige Wasserstand ist für den bulgarischen Teil der Donau nicht außergewöhnlich - 2003 war der Pegel sogar noch niedriger. Zu Problemen für die Kühlung des Kernkraftwerks in Kozloduj kam es trotzdem nicht. Auch 2022 beteuert die AKW-Leitung, es gäbe keinerlei Schwierigkeiten.
In Rumänien war der Pegelstand an der niedrigsten Stelle der Donau - in der Flussmitte zwischen der Insel Calinovat und der Kleinstadt Turnu Magurele - bereits am 6.8.2022 fast so tief wie Ende August im bisherigen Rekord-Niedrigwasserjahr 2003: bei 1,87 Metern in der Mitte des Flusses. Vor 19 Jahren war das Wasser auf 1,80 Meter gesunken. Die Chance, dass diese Marke dieses Jahr geknackt wird, steht gut: Für die kommenden Wochen erwarten die Meteorologen keinen Regen.
Die Trockenheit hat sichtbar Folgen für die Donau: Selbst in der Flussmitte haben sich mittlerweile Sandinseln gebildet. Die Schifffahrt wurde zwar noch nicht völlig eingestellt, verläuft aber sehr mühsam: Derzeit trauen sich die Kapitäne von rund 70 Schiffen nicht, die Weiterfahrt anzutreten.
Die Flussverwaltung in der Hafenstadt Galati hat alle Hände voll zu tun. Rund um die Uhr wird gearbeitet, um die Wasserstraße mit Hilfe von Baggerschiffen zumindest für leichte Boote befahrbar zu halten. Alles andere würde die Versorgung von Menschen und Wirtschaft mit Gütern wie Getreide, Erz, Kohle, Treibstoffen und Gasen sowohl in Rumänien als auch in den anderen Donau-Anrainerstaatengefährden.
Im 15.000-Einwohner-Örtchen Zimnicea trifft die DW den Anwohner Marcel. Er spricht über den niedrigen Wasserstand und darüber, dass die Bewässerung der Landwirtschaft - hier werden vor allem Mais, Weizen, Roggen und Gerste angebaut - kaum mehr möglich ist. Wir gehen am Donauufer entlang. Mit ausgestrecken Armen zeigt Marcel, wie hoch der Fluss noch im Frühjahr 2022 stand: "Wo das Wasser damals zwei Meter tief war, kann man sich jetzt sonnen."
Im bisherigen Rekord-Niedrigwasserjahr 2003 war das AKW in Cernavoda für fast einen Monat (23.08.-16.09.) heruntergefahren worden. Bisher verlaufe die Versorgung im Sommer 2022 mit Kühlwasser "einwandfrei", versichert Rumäniens Umweltminister Barna Tanczos. Allerdings sprach er auch von Sparmaßnahmen "wegen Wassermangels". In einzelnen Ortschaften wurde der Wasserkonsum für private Haushalte mittlerweile gedrosselt und die Bewässerung von Gärten und kleinen Feldern eingeschränkt.