Rüdiger Rossig | Journalist | Novinar

Die D-Mark ist mächtiger als die UNO

In der serbischen Hauptstadt drückt eher Inflation als Krieg - Während Bosniens Serben zur Abstimmung über den Vance-Owen-Plan schreiten, verbreitet die UNO Konfusion | Aus Belgrad Rüdiger Rossig

Belgrad ist ruhig am Vortag des Referendums. Davon, daß die bosnischen Serben heute und morgen über den Vance-Owen-Friedensplan abstimmen sollen, der die Aufteilung Bosnien-Herzegowinas in zehn autonome Provinzen vorsieht, ist in der serbischen Hauptstadt nichts zu spüren - obwohl sie durch eine Ablehnung auch ihre "jugoslawischen" Schwestern und Brüder in den Krieg hineinziehen könnten.

Zwar titeln alle Zeitungen, von Regierungspresse bis hin zur oppositionellen Borba (Kampf), mit der Demonstration der ultranationalistischen "Serbischen Radikalen Partei" des Tschetnikführers Vojeslav Seselj am Donnerstag in Losnica. Zwischen 10.000 und 20.000 Menschen hatte Seselj in der Provinzstadt auf die große Abrechnung mit den jugoslawischen "Verrätern" des "Serbentums" eingeschworen.

Aber es wird nicht viel Notiz genommen von der Ankündigung der Radikalen, jetzt den Kampf gegen den serbischen und den jugoslawischen Präsidenten, gegen Milosevic und Cosic, aufzunehmen. Die beiden Politiker sind bestrebt, die bosnischen Serben doch noch zu einer Annahme des Vance- Owen-Planes zu bewegen und damit eine internationale Militärintervention zu vermeiden. Nach der Verhängung eines allerdings nicht durchgesetzten Embargos wurden die Parlamente der diversen Serben aus Bosnien, Kroatien, Serbien und Montenegro zu einer gemeinsamen Sitzung nach Belgrad einberufen, um den Vance-Owen- Plan anzunehmen und sich auf ein Ende der Kämpfe in der Nachbarrepublik und den Einmarsch neuer UNO-Truppen vorzubereiten.

Zu Sitzungsbeginn gestern erschienen allerdings die bosnischen und kroatischen Serben nicht, während Seselj durchsetzte, daß die Versammlung nur "beratende" und keine beschlußfassende Funktion haben dürfe.

Hauptthema der Gespräche in Belgrad sind vielmehr die Preise, die in der Nacht zum Donnerstag erneut verdoppelt wurden. Nach wie vor gibt es alles zu kaufen; manchen Geschäftsleuten geht es gar seit der Verschärfung der Sanktionen besser. Rekordverdächtig sind beispielsweise die Umsätze der Belgrader Schmuckhändler und Parfümerien. Während normale Belgrader sich die prallgefüllten Schaufenster auf der Promeniermeile Terazija bestenfalls anschauen können, fahren neue Stuttgarter Limousinen auf den Straßen. Krieg ist auch eine Zeit der Spekulanten.

Belgrad ist kriegsmüde. Die Monatslöhne sind auf durchschnittlich 80 DM gefallen, was heißt, daß eine vierköpfige Hilfsarbeiterfamilie in 31 Tagen 15 DM pro Person zur Verfügung hat. Um Deutsche Mark dreht sich in Belgrad alles: Auf dem Weg vom Hauptbahnhof ins Zentrum stehen an den Ecken betont gelangweilte Gestalten, die dem Vorübergehenden den Kurs hinterherrufen - 11.000 Dinar für eine DM am Mittwoch, bereits 15.000 gestern.

Belgrad ist nicht Serbien. Aber die Dörfer, in denen es laut Berichten oppositioneller Zeitungen kein Brot mehr gibt, sind weit weg.

Wacklige UNO-Diplomatie

Was bedeutet das Referendum der bosnischen Serben für die Zukunft des Vance-Owen- Plans? Auf diese mehrfach gestellte Frage wollte Thorvald Stoltenberg partout keine eindeutige Antwort geben, als er sich diese Woche in seiner neuen Rolle als Jugoslawien-Beauftragter der UNO den Genfer Journalisten vorstellte. Ähnlich wie die USA und die EG versucht auch der Nachfolger von Cyrus Vance damit, alle Optionen offenzuhalten. Sollte das Referendum - womit derzeit kaum jemand rechnet - ein "Ja" zu dem Plan ergeben, dürfte auch Stoltenberg die Veranstaltung nachträglich als legitim werten. Endet die Abstimmung mit einem "Nein", wird er versuchen, sie als von vornherein irrelevant abzutun. Für diesen Fall baut der ehemalige norwegische Außenminister schon jetzt eine Argumentationslinie auf: Schließlich habe ja Serbenführer Radovan Karadzic in Athen den Plan unterzeichnet, und diese Unterschrift sei "nach wie vor gültig". Deswegen, erklärt Stoltenberg zum großen Erstaunen der Journalisten, habe die Umsetzung des Plans auch schon "begonnen" und werde "weiter fortgesetzt". Auf den Einwand, daß sich Vorgänger Vance in Athen aber auf Karadzics Vorbehalt einer Zustimmung des bosnisch-serbischen "Parlaments" einließ, die dann nicht erfolgte, reagiert Stoltenberg nicht.

Den Eindruck von Hilflosigkeit unterstreicht er mit den Worten, er habe zwar "kein Rezept für eine Lösung" des bosnischen Konflikts, glaube aber dennoch "an die Möglichkeit eines Vermittlungsergebnisses". Allerdings hat er "nicht wahrgenommen", daß die US-Regierung den Plan als solchen bis heute offiziell nicht mitträgt und bislang nur ihre Unterstützung des "Vance-Owen-Prozesses" erklärt hat. "Dem Profi Vance folgt ein nicht sehr kenntnisreiches Leichtgewicht", faßt ein Journalist den Eindruck zusammen. azu

Bosnien: Serbische Offensive

Serbische Verbände in Nordbosnien haben gestern die Waffenstillstandsvereinbarungen gebrochen und eine Großoffensive gegen die Stadt Brcko gestartet. UN-Beobachter bestätigten massiven Raketenbeschuß durch serbische Truppen. Regionale kroatische Kommandanten erklärten dazu, Ziel der serbischen Offensive sei es, den in west-östlicher Richtung verlaufenden Korridor zu erweitern, der die Region um Banja Luka mit der Republik Serbien verbindet.

In Mostar hielten ebenfalls die Kämpfe zwischen Kroaten und Moslems an, wenn auch mit verminderter Intensität. Die wieder eingerückten spanischen UN- Truppen gerieten unter Beschuß. Ein Fotograf berichtete, er habe gesehen, wie kroatische Milizionäre Minen unter die UN-Panzerfahrzeuge gelegt hätten, um diese an der Weiterfahrt zu hindern. Der deutsche Außenminister Kinkel forderte den kroatischen Präsidenten Tudjman auf, "die Dinge in und um Mostar in Ordnung" zu bringen.