Trotz des Bündnisses der serbischen und kroatischen BosnierInnen gegen die legale bosnische Regierung des Präsidenten Alija Izetbegovic eskaliert der Krieg um die serbisch besetzten Gebiete Kroatiens: Truppen der Kroatischen Armee (HV) griffen gestern nachmittag Stellungen der international nicht anerkannten "Serbischen Republik Krajina" in der Nähe der Küstenstadt Zadar an. Serbische Artillerie antwortete gegen 20.00 Uhr mit dem Beschuß der Küstenstädte Sibenik und Zadar mit Raketen des Typs "Orkan". Auch in Karlovac, keine 20 Kilometer entfernt von der kroatischen Hauptstadt Zagreb, schlugen nach Angaben der kroatischen Agentur HINA bis um 2.00 Uhr morgens rund 20 Granaten ein. Kroatische Artillerie griff - wiederum "im Gegenzug" - die "Hauptstadt" der Krajina, Knin, an. Bisher kamen bei den Kämpfen nach kroatischen Angaben 14 Menschen ums Leben.
Bereits am Mittwoch hatte der Beauftragte für zivile Angelegenheiten bei den UN-Schutztruppen (UNPROFOR), Cederic Thornberry, in Zagreb vor einer erneuten Eskalation des serbo-kroatischen Krieges gewarnt. Thornberry und andere UN-Offizielle forderten die "Regierung" der Krajina und die Republik Kroatien auf, ihre Streitigkeiten auf friedlichem Wege beizulegen. Aktueller Anlaß der Kämpfe sind die für das Wochenende geplanten Wiedereröffnungen der strategisch wichtigen Brücke von Maslenica und des Militärflughafens von Zadar. Der ehemalige Flugplatz der "Jugoslawischen Volksarmee" (JNA) würde es Zagrebs kleiner Luftwaffe ermöglichen, im gesamten Bereich der kroatischen Küste zu operieren. Die Maslenica-Brücke, die die einzige Landverbindung der Adriaküste nach Zentralkroatien ist, hatte die Kroatische Armee (HV) Ende Januar unter schweren Verlusten von den aufständischen SerbInnen der Krajina zurückerobert.
Die Krajina hatte sich 1991 für von Kroatien unabhängig erklärt. Seit Ende des kroatischen Unabhängigkeitskrieges im Januar 1992 steht die Bergregion offiziell unter UN-Verwaltung. Seitdem hatten kroatische Stellen immer wieder die im Vance-Friedensplan festgeschriebene Entwaffnung der serbischen Milizen in der Bergregion und die Unterstellung der Krajina unter die Hoheit Zagrebs gefordert. De facto ist die Krajina längst ein selbständiger Staat: Die Gesetze der Republik Kroatien gelten dort nicht, keine kroatischer Staatsbürger darf das Gebiet um Knin betreten. Vor einem Monat stimmten über 90 Prozent der Region für ihren Anschluß an die ebenfalls nicht anerkannte "Serbische Republik Bosnien-Herzegowina".
Der kroatische Angriff auf die Krajiner SerbInnen könnte den Zusammenschluß der beiden serbischen Gebiete ungewollt beschleunigen: Einheiten der bosnischen SerbInnen rückten während der Kämpfe in der Nachbarrepublik auf die strategisch wichtige Stadt Brcko an der kroatischen Südgrenze vor, um einen Korridor zwischen den serbisch besetzten Gebieten Bosnien und der kroatischen Krajina freizukämpfen. Sollte sie erfolgreich sein, so wären die serbisch besetzten Gebiete Kroatiens auf dem Landweg mit den serbischen Teilen Bosniens verbunden. Der Bildung einer gemeinsamen "Serbischen Republik" mit Aussicht auf einen Anschluß an die aus den exjugoslawischen Republiken Serbien und Montenegro bestehende "Bundesrepublik Jugoslawien" stände dann zumindest militärisch nichts mehr im Wege.
In der Herzegowina starteten Truppen der regulären bosnischen Armee ihrerseits einen Angriff auf Stellungen der Miliz der bosnischen KroatInnen (HVO) in Mostar. Erst am Donnerstag war die Stadt von HVO-Truppen erobert worden. Auch aus Sarajevo und aus der seit vorgestern abgeschnittenen UN-Schutzzone Gorazde wurden Kämpfe gemeldet. Die UNPROFOR zählte nach Angaben ihres Sprechers Barry Frewer am Mittwoch 224 Einschläge in der bosnischen Hauptstadt, in der erst in den letzten Tagen die Wasser-, Gas- und Stromversorgung wiederhergestellt worden war.
Trotz der unvermindert heftigen Gefechte in Bosnien lehnte es der britische Außenminister Douglas Hurd am Donnerstag in London ab, das iranische oder palästinensische Angebot zur Entsendung von neuen UN-Schutztruppen anzunehmen. Andere Staaten seien hingegen zur Unterstützung der UNPROFOR willkommen, sagte Hurd in einem Interview mit dem britischen Fernsehsender BBC. Auch ein Sprecher des französischen Außenministeriums in Paris äußerte am Donnerstag vorsichtige Vorbehalte gegen eine Entsendung von Truppen aus islamischen Ländern wie dem Iran, ebenso wie Ägypten. Die Organisation Islamischer Staaten (OIC) hatte am Mittwoch die Entsendung von rund 18.000 Soldaten in die Bürgerkriegsregion angeboten. Offenbar befürchtete die UNO die Beteiligung islamischer Soldaten auf bosnischer Seite am Krieg auf dem Balkan.
Nach der Entscheidung der Führung in Belgrad, den serbischen Oppositionsführer Vuk Draskovic freizulassen, konnte der Chef der "Serbischen Erneuerungsbewegung" (SPD) am Donnerstag die neurochirurgische Klinik verlassen. In Begleitung seiner Frau Danica trat Draskovic vor das Gebäude, wo ihm etwa tausend Menschen zujubelten. Das Ehepaar war in der Nacht zum 1. Juni nach einer Demonstration in Belgrad festgenommen und schwer mißhandelt worden.