Bild hievte es gestern auf den Titel ("Serben drohen mit Atomwaffen"), und selbst der renommierten International Herald Tribune war die Nachricht ein großes Karadzic-Foto auf der ersten Seite wert: Der Führer der bosnischen Serben sollte den Ländern, die sich seiner Politik in den Weg stellen, mit Atombomben gedroht haben. Die Quelle: Ein Interview, das die Wiener Tageszeitung Der Standard veröffentlicht hatte. Karadzic dementierte zwar prompt, aber das Dementieren gehört ja gerade bei den Genfer Jugoslawienverhandlungen dazu.
"Wir Serben werden uns mit allen Mitteln verteidigen", soll Karadzic gesagt haben. Und: "Wir sind nicht bereit, auf unsere Selbstverteidigung zu verzichten. Es ist kein Problem, auch Nuklearwaffen auf dem Weltmarkt zu kaufen." Laut Standard rät Karadzic "dem Westen, unsere Bereitschaft, uns mit allen Mitteln zu verteidigen, nicht in Versuchung zu führen". Zudem drohte er mit Terroranschlägen vor allem in Österreich und der Bundesrepublik sowie in Italien, wo die Nato-Kampfflugzeuge für etwaige Angriffe auf serbische Stellungen um Sarajevo stationiert sind.
Die Verwirrung über diese angeblichen Karadzic-Drohungen erreichte ihren Höhepunkt, als die Genfer Sprecher des selbsternannten "Präsidenten" der bosnischen Serben das Interview gestern nachmittag abwechselnd bestätigten und dementierten. Der Serbenführer selbst hatte gerade den Text als "dreiste Lüge" und "pure Erfindung" bezeichnet, als der Autor des Interviews sich bei der taz meldete. Der Zagreber Journalist und Autor Branimir Baron-Brljevic, der Karadzic nach eigenen Angaben noch aus kommunistischen Zeiten kennt, hatte tatsächlich im Januar, April und am Donnerstag drei Interviews mit dem ehemaligen Psychiater geführt. Das Interview, eine Zusammenstückelung der Gespräche, hatte Brljevic dann verschiedenen Zeitungen angeboten. Große Teile des Textes waren allerdings schon am 8. Januar in der Zagreber Wochenzeitung Globus erschienen. Auch die Äußerungen über Atomwaffen war schon in dem damligen Brljevic-Text zu lesen. Da in dem neuen zusammengestückelten Interview auch die Rede ist von der nach wie vor schwelenden Auseinandersetzung um die Räumung der Berge Igman und Bjelasnica (siehe Seite 8), erweckt das Interview den Eindruck, ganz aktuell zu sein. Der Serbenführer erzielte auf diese Weise in dieser Woche schon den zweiten großen Erfolg seiner Public-Relations-Strategie, mit der er die Nato von Luftangriffen abhalten möchte. Am Dienstag hatte Karadzic in Genf gegenüber der Nachrichtenagentur AP für den Fall von Luftangriffen mit der Eskalation des Krieges gedroht. AP machte daraus in der Überschrift flugs die Formulierung, Karadzic habe mit dem "totalen Krieg" gedroht - ein geschichtlich belasteter Terminus, der Karadzic zwar zuzutrauen ist, den er aber so nicht gebraucht hatte. Trotzdem führte die AP-Meldung schon am Mittwoch zu prominent aufgemachten Geschichten in zahlreichen Zeitungen.
Laut Branimir Baron-Brljevic hat der Serbenführer seine Drohungen gestern aber telefonisch wiederholt und bestätigt. Gegenüber der taz gab der Zagreber Journalist und Autor an, Donnerstag nacht von kroatischen Serben entführt und zur Herausgabe der Tonaufnahmen des Interviews gezwungen worden zu sein. Glücklicherweise habe er aber Kopien gemacht.