Über das Internet kommt man schnell und einfach an viele Informationen - und kann diese gleich anschließend auch noch überprüfen. Das hat seine Vor- und Nachteile. Aufgrund eines Stammtischgesprächs - irgendwer hatte irgendwo gelesen, dass die Übersetzung aller Kommunikation in alle 23 Amtssprachen der Europäischen Union uns Steuerzahler unerhörte Summen kostet - ließ ich mich darauf ein, eine Streitschrift gegen die teure und unsinnige Pflege der Nationalsprachen im vereinten Europa zu verfassen.
Den Einstieg hatte ich bereits genauso im Kopf wie das Ende. Ein Plädoyer für das Englische als de facto "lingua franca" Europas wäre das geworden. Für eine pragmatisch gewählte Sprache für die Alltags- und Dienstkommunikation aller europäischen Institutionen anstelle eines für alle Europäer teuren Sprachwirrwars. Hätte ich nur nicht begonnen, zu recherchieren.
Ein bisschen Lesen, ein Anruf bei der Europäischen Kommission unter Berlin 22802000 - die Nummer steht natürlich auf deren einfach zu findenden, bedienerfreundlichen Homepage -, zwei Mails an die Info-Abteilungen des Europäischen Parlaments und des EU-Rates ... und schon fiel meine schöne These vom teuren europäischen Sprachchaos in sich zusammen.
Denn die Übersetzungs- und Dolmetscherkosten der EU bieten keinen Stoff für Aufregung. Die gesamte schriftliche Kommunikation aller 13 zentralen EU-Institutionen - also Kommission, Parlament und Rat - kostete im vergangenen Jahr gerade mal rund 1,1 Milliarden Euro. Hinzu kommt das Dolmetschen, das sich Europa jährlich rund 200 Millionen Euro kosten lässt. Insgesamt ergibt sich eine Summe von cirka 1,3 Milliarden Euro. Das ist etwas über ein Prozent des EU-Haushalts oder eine Tasse Kaffee pro EU-Bürger im Jahr.
Das klingt nicht nur gut - das ist gut. Und das gestehen auch alle Beteiligten ein. Kritik gibt es höchstens an der Produktivität der EU-Sprachendienste. Diese ist laut Haushaltskontrollausschuss geringer als die der Übersetzer in der freien Wirtschaft. Und: Freiberufliche Übersetzer wären um rund ein Drittel preiswerter. Gäbe es da nicht etwas einzusparen?
Nein. 2007 bearbeiteten die Übersetzer der Europäischen Union über zwei Millionen Seiten à 1500 Anschläge. Um diese Masse an Vorlagen, Beschlüssen, Gesetzen, Verordnungen inklusive Schriftverkehr für die 23 Amtssprachen der 27 Mitgliedsstaaten Europas in der gebotenen Genauigkeit zu übersetzen, benötigt man mehr als Dolmetscher und Übersetzer. Wo selbst kleine Übertragungsfehler zu politischen Krisen führen können, müssen echte Sprach-Mittler ran.
EU-Dolmetscher und Übersetzer müssen bereit sein, sich immer neue Aspekte von immer mehr europäischen Sprachen anzueignen. Recht, Politik, Jargon von Bulgarisch auf Dänisch, von Estnisch auf Finnisch auf Französisch und Griechisch ... Das erfordert neben der täglichen Arbeit ständige Fortbildung.
Grundsätzlich gilt in der EU die sogenannte Amtssprachenregelung: Ein Vollsprachenregime für alle Rechtstexte, den amtlichen Außenverkehr der europäischen Institutionen und das Amtsblatt. Zudem kann sich jeder Unionsbürger schriftlich in einer der 23 Amtssprachen an jedes Organ und jede Einrichtung der EU wenden - und muss seine Antwort in derselben Sprache erhalten.
In der Praxis der Union wird sehr pragmatisch mit dem Vollsprachenregime umgegangen: In der täglichen Arbeit überwiegen längst die Kommunikation auf Englisch und Französisch. In den Verhandlungsgremien der EU dagegen gilt: Alle 23 Amtssprachen werden gleichberechtigt bedient, soweit die Beteiligten nichts anders vereinbaren.
Für die Arbeit als EU-Sprachmittler reicht es also nicht, einige der großen Sprachen Europas wie das Deutsche, das Englische, Französische, Italienische oder Spanische zu beherrschen. EU-Dolmetscher und Übersetzer kümmern sich natürlich auch um das Maltesische, das einzige semitische Idiom, das in lateinischen Buchstaben geschrieben wird.
Trotzdem kommen EU-Sprachendienste mit sehr wenigen Mitarbeitern aus. Beim Directorate-General for Translations etwa arbeiten gerade mal 2 200 Übersetzerinnen und Übersetzer. Beim europäischen Parlament sind ganze 365 Dolmetscher angestellt. Hinzu kommen rund 1000 freie Mitarbeiter.
Von Verschwendung kann da keine Rede sein. Genauso wenig wie von einer ideologisch geprägten Nationalsprach-Förderung, Bevorzugung oder Benachteiligung. Stattdessen: transeuropäischer Pragmatismus, der die Kosten für die Steuerzahler in den Mitgliedsstaaten nicht aus den Augen verliert.