Rüdiger Rossig | Journalist | Novinar

"Die Wahrscheinlichkeit, betroffen zu sein, ist gering"

Ein Erste-Hilfe-Auffrischungskurs kann helfen, mit der eigenen Unsicherheit umzugehen, sagt Veranstaltungsexperte Florian Sesser | Interview Rüdiger Rossig

Herr Sesser, was genau macht Ihre Firma accu:rate?

Florian Sesser: Wir simulieren Besucherströme im Computer, um die
Sicherheit und den Komfort von Großveranstaltungen und öffentlichen
Gebäuden zu erhöhen.

Wie kann man Ihrer Erfahrung nach eine Veranstaltung wie die in
Manchester schützen? Zumal dann, wenn der Attentäter im
Eingangsbereich auf seine Opfer wartet?

Bei großen Veranstaltungen ist eine gute Vorbereitung auch auf
Eventualitäten notwendig. Bisher sind viele Veranstalter nicht
vorbereitet auf eine Gefahr vor der Sicherheitskon­trolle – sie
denken, ihre Verantwortung endet an der Haustür. Unsere Technologie
hilft, unterschiedliche Szenarien – speziell eine Räumung – vorab im
Computer durchzuspielen und zu testen. Das verhindert zwar keine
Explosion. Aber durch die Aufdeckung neuralgischer Punkte können
Fluchtwege optimiert werden. Speziell, wenn Menschen in Angst geraten,
sind klare Wege enorm wichtig.

Wie verhält man sich als Gast einer Großveranstaltung richtig, wenn
etwas passiert?

Zuerst mal sollte man, wenn irgend möglich, Ruhe bewahren. Dann ist es
wichtig, dass die Gäste die Gefahrenstelle geordnet verlassen und
Hilfskräfte ihre Arbeit machen lassen. Auch Erste Hilfe zu leisten ist
immer sinnvoll. Ein Auffrischungskurs kann helfen, mit der eigenen
Unsicherheit umzugehen.

Sollte man sich in Zeiten des Terrors von Großveranstaltungen ganz fernhalten?

Meine private Meinung: ganz klar nein. Terror will Angst schüren. Aber
Angst essen Seele auf – und das Leben ist zum Leben da! Und dann ist
da noch die Statistik: Die Wahrscheinlichkeit, in einen Anschlag zu
geraten, ist sehr gering. Die meisten tödlichen Unfälle passieren im
Haushalt.

Dass Bundeskanzlerin Angela Merkel und der bayrische Ministerpräsident
am ­Dienstag ihre gemeinsamen Wahlkampfauftritte in Bierzelten mit
Verweis auf Manchester abgesagt haben, halten sie also für Quatsch?

Nein, das ist total sinnvoll! Und zwar aus Gründen der Pie­tät. Man
kann doch als Politiker nicht einerseits den Opfern in Manchester sein
Beileid aussprechen – und dann andererseits sofort zum Feiern
über­gehen.

taz